40 Below
11. December 2011
In der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag, 17.11. 1.00 Uhr, war es soweit: wir haben die -40°C geknackt! Ich hatte nicht damit gerechnet, dass wir es noch vor meinem Abflug schaffen würden. In Fairbanks wird es normalerweise mindestens einmal im Winter so kalt, aber eher im Dezember, Januar. Polarlichter habe ich bei der Temperatur natürlich nicht mehr bestaunt, aber der Kälteeinbruch hat mir ein paar ganz eigene Erfahrungen gebracht, die ich hier mal versuchen werde zusammen zu fassen. Manche der Beschreibungen treffen auch bei nicht ganz so tiefen Temperaturen zu; das hier ist mehr eine lose Zusammenstellung von Beobachtungen. Die meisten davon wurden zwischen -32°C und -40°C gemacht.
Tiefstehende Sonne, Bildmitte: eingeforenes Touristenboot auf dem Chena River. Die Aufnahme stammt von 13:35 Ortszeit.
Wie wird es so kalt?
Zum einen natürlich durch die schwache und kurze Sonnenstrahlung, die den Boden und die Atmosphäre knapp unter dem Polarkreis einfach nicht mehr aufwärmen kann. Da jetzt, etwa einen Monat später, die Temperaturen in Fairbanks gerade aber bei moderaten -10°C liegen, kann das nicht der einzige Grund sein. Vielmehr hing über Fairbanks in meiner letzten Woche dort ein hartnäckiges Hoch, das erfolgreich warme Luft aus dem Süden, vom Pazifik her, fernhielt. In früheren Extremwintern kam meist noch kalte Luft aus Sibirien herüber geweht, manchmal auch aus Kanada. Dieser November war selbst für Fairbanksverhältnisse besonders,
besagte Novemberwoche brach mehrere Temperaturrekorde, sowohl hinsichtlich der kältesten Novembertage als auch hinsichtlich der Frühe der -40er Temperaturen. Gut für mich! Somit habe ich die letzte wesentliche “Sehenswürdigkeit” abhaken können
Das alaskische Winterhoch hält nicht nur wärmere Luft fern, sondern verhindert auch Wind. Nun hatte Fairbanks ja ohnehin nicht viel Wind, während ich da war, aber in der Kältewoche war es besonders windstill und die Luft zum schneiden: Smog. Hauptsächlich von Megacities und bei wärmeren Temperaturen bekannt, hat Fairbanks im Winter regelmäßig eine dicke, schmutzig-gelbe Dunstglocke. Der fehlende Wind kann die Abgase nicht davonblasen, und die früher schon erwähnte Inversion (Luft in Bodennähe kalt, weiter oben … weniger kalt) verhindert, dass die Abgase nach oben steigen können.
Oben: Der für Inversionen typische Knick in der Abgasfahne. Unten: Abgeflachte Fahne, durchstochen von Lichtsäulen.
Die Bezirksverwaltung gab Warnungen zur Feinstaubbelastung heraus, und auch ich hatte einen kratzenden Hals beim Atmen. Nicht nur die Kälte macht also den Lungen zu schaffen, sondern (hauptsächlich?) die schlechte Luft. Und die Kälte führt natürlich dazu, dass Automotoren zum Aufwärmen länger laufen, Heizungen stärker laufen, länger laufen, mehr Heizungen laufen…. und noch mehr Abgase produzieren.
Wie überlebt man diese Kälte?
Bibbernd.
Nein, Spaß beiseite. Ich habe in dieser Woche ein neues Hobby entwickelt: Nur mit Hausklamotten, also dünnem Pullover und Jogginghose und Turnschuhen, den Müll rausbringen. Nicht etwa weil ich so gerne Müll rausbringe. Die Kältewand, gegen die man läuft, kann man sich vielleicht vorstellen, wenn man vom Gefühl bei 0°C über -20°C bis -40°C extrapoliert.
0°C sind kalt, man muss sich warm anziehen, damit man nicht zuviel Körperwärme verliert. Nur im Pullover bekleidet kann man aber (ohne Wind) locker 10 Minuten draußen bleiben, bis man anfängt zu zittern.
-20°C dagegen beißen sofort ins Gesicht, wenn man rauskommt. Einfach mal die Winterjacke überziehen reicht nicht um dauerhaft warm zu bleiben, sondern man muss zu Mütze, Schal, Handschuhen greifen und möglichst Ritzen vermeiden. Nur mit Pullover bekleidet hält man es vielleicht 1, allerhöchstens 2 Minuten draußen aus. Vom Fahrradfahren kenne ich das Problem, dass das Gesicht nicht nur taub wird vom Fahrtwind, sondern über der Nase durch die kalte Luft anfängt zu schmerzen. In Schweden habe ich anhand des Teils des Gesichts, der weh tat, auf etwa 2°C genau sagen können, welche Temperatur herrschte. Nach wochenlanger Übung, versteht sich.
Und -40°C? Schal oder Handschuhe zu vergessen kann innerhalb von Minuten zu Erfrierungen führen, aber auch mit ist es schwierig, die Finger warm zu halten. Erfahrene Fairbankser halten sich meist gar nicht mehr mit Fingerhandschuhen auf; ich habe zwei dicke Paare übereinander getragen. Eine Mütze habe ich gar nicht aufgesetzt, ich habe gleich die Skimaske aufgesetzt und zwei Kapuzen drüber gezogen. Meine Winterjacke ist warm, aber doch eher für nicht ganz so extreme Temperaturen ausgelegt. Darunter hatte ich: Unterhemd, dünnen Pullover, warme Kuscheljacke mit Kapuze. Unter der Skihose trug ich noch eine Strumpfhose und in meinen -40°-Schuhen steckten meine Füße in einem dünnen und einem Paar Skisocken. So habe ich angenehm warm den halbstündigen Marsch von der Uni nach Hause überstanden. Ich durfte nur nicht aufhören, mich zu bewegen. Die Kälte kam trotzdem irgendwann durch, insbesondere durch noch so gut gestopfte Lücken in der Kleidung.
Zurück zu meinem Hobby: Der Müllcontainer ist höchstens 15 m von der Haustür entfernt. Nach der Hälfte des Hinweges fangen meine Finger an kalt zu werden, die Kälte beißt in die Nase. Den Deckel zur Mülltonne kann ich nur mit der Hand öffnen, weil unter der millimeterdicken Frostschicht Plastik liegt. Müllbeutel hastig reinwerfen, jetzt spürt auch die Haut, die mit einer Lage Stoff geschützt ist, die Kälte. Auf dem Weg zurück gehe ich bei den ersten Ausflügen bewusst langsam, später pfeife ich auf die Selbstbeherrschung und renne. In den Kniekehlen und an den Oberarmen und Ellenbogen stößt meine Haut an den unangenehm kalten Stoff von Hose bzw. Pullover. Den Türknopf fasse ich nicht an, die Tür schließe ich mit einem Handdruck gegen das Türbrett. Ich bin gerade dabei anzufangen, zu zittern, da registriert meine Haut – nicht die Wärme des Hausflurs, sondern das Aufhören des Beißens der Kälte. Die Kleidung ist noch eiskalt und braucht ein paar Sekunden um sich wieder angenehm kuschelig anzufühlen. Auf dem Weg in mein Zimmer wird es immer wärmer, und ein paar Minuten später fühle auch ich mich wieder warm, so dass ich den nächsten Müllbeutel entsorgen gehen kann
Wie fühlen sich -40°C an?
Wie ein Nadelstich, nur großflächig. Als ich das erste Mal bei (nicht ganz) -40 nach Hause gelaufen bin, stieg gerade ein Mann aus dem Campusshuttle. Ich fand es erst sehr mutig von ihm, über den glatt getretenen Schnee in diesem Tempo zu rennen, dann sah ich, dass er nur mit einer Strickjacke bekleidet war. Wenige Minuten später habe ich ein Foto gemacht, das konnte ich mittlerweile auch mit beiden Handschuhlagen. Die typischen Schwachstellen beim Anziehen gegen die Kälte sind eigentlich die Hände, Füße, und vielleicht noch das Gesicht. Als ich für das Foto stehen blieb, fühlte ich, wie sich die Kälte langsam durch meine Stoffschichten nagte. Es fühlte sich tatsächlich an, als würden immer schärfere Zähnchen sich meiner Haut nähern. Zwar auf dem Campus, wurde mir bewusst, dass das nächste Gebäude etwa fünf Minuten entfernt ist, und ich setzte mich schnell wieder in zügige Bewegung.
Mein Kopf war am wärmsten (bei drei Lagen), die einzige exponierte Haut im Gesicht um die Augen kam mit der Kälte ganz gut zurecht. Ich habe erst später auf Fotos gesehen, dass die Lider leicht geschwollen waren und ich einen dicken Tränenfilm auf den Augen hatte. Meine Augen waren leicht gerötet; nicht das blutunterlaufen-Rot, sondern das kalte-Finger-in-heißes-Wasser-halten-Rot. Die Wimpern wurden vom Atem weiß, wenn die Augen anfingen zu tränen, fingen die Wimpern an zu klumpen. Wenn man dann mit den Wimpern klimpert, hat man einen weißen Balken, der sich im Blickfled hoch und rutnerbewegt… Gerade wenn man länger unterwegs ist (>10min!), muss man häufiger die Augen zusammen kneifen, um das Eis aus den Wimpern zu schmelzen.
Nach der Hälfte meines Nachhausewegs wurde ich von einem zügig laufenden Studenten überholt, der eine wie ich dachte, dünne Jacke anhatte. Erst kam ich mir gegen ihn wie das Michelinmännchen vor. Dann fiel mir auf, dass er immer schneller und schneller lief, bis er rannte. Also ist der Michelinmantel doch nicht so verkehrt.
Zwischenzeitlich fühlt es sich gut an, die Skimaske runter zu nehmen und die kratzige Luft frei einatmen zu können. Innerhalb einiger Sekunden frieren die Nasenhaare ein und zusammen, nach einer Minute spätestens muss die Maske wieder hoch, weil die Nasenflügel zu sehr schmerzen. Meine Füße kämpfen tapfer gegen das Kaltwerden, jetzt bloß nicht stehen bleiben. Ich bin froh, diese Schuhe zu haben, und versuche mir vorzu stellen, wie sich meine Füße in meinen Wanderschuhen anfühlen würden. Da sind sie schon bei etwa -15°C kaum mehr mit dem Heizen hinterhergekommen.
Ein Experiment, dass ich unbedingt durchführen musste, wenn es schonmal so kalt ist: Metall anlecken. Quasi die Zunge an den berüchtigten Laternenpfahl halten. – Das habe ich natürlich nicht an einem Laternenpfahl gemacht, ich wollte mich ja nicht lächerlich machen und losschmelzen lassen müssen. Ich habe einen Löffel genommen und den für eine halbe Stunde ins Fensterbrett gelegt. Anschließend habe ich ihn auf meine Zunge gedrückt. Die ist – wie erwartet – sofort festgefroren, ein irres Gefühl. Man spürt, wie sich die Eiskristalle in der Zunngenoberfläche ausbilden und sie mit dem Löffel verkleben. Dieses Blitzeis hat bestimmt jeder schonmal gesehen, das Gefühl dazu ist, als ob man seine Zunge in reine Kohlensäure hält. Die sich in weniger-als-Sekunden-Kleber verwandelt. Nach geschätzt fünf Sekunden war der Spuk wieder vorbei und der Löffel hatte sich durch die Zunge soweit erwärmt, dass er von der Zunge gerutscht ist. Das Spielchen habe ich ein paar Mal gespielt, vor dem Löffel hatte ich mit einer Gabel rumprobiert, die sich ja noch schneller erwärmt (sicherheitshalber). Das Anfrieren selbst tat nicht weh, auch das Ablösen nciht. Aber für den Rest des Abends fühlte sich meine Zunge taub an, wie nach einer Spritze beim Zahnarzt. Zum Glück war am nächsten Morgen auch dieses Gefühl weg.
Welche Auswirkungen haben so niedrige Temperaturen?
Nichts funktioniert mehr wie gwohnt.
Als ich Montag Nacht in Fairbanks eintraf, zeigte das Thermometer schon unter -30F an. Laut Tipp der Verkehrsbehörden soll man ab -10F den Stecker des Autos in die Steckdose stecken, und das habe ich auch gemacht. Das Auto startete am nächsten Morgen problemlos. Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit habe ich erst das Auto gestartet und dann den Schnee von den Scheiben gefegt. Da ich vom Autovermieter mit dem Fahrrad zur Uni fahren wollte, hatte ich mich entsprechend angezogen – zum Glück, denn der Sitz war natürlich eisig.
Der Autositz war ja schon kalt. Aber der Sattel war wirklich schlimm. Der ist zwar irgendwann warm geworden, aber sobald ich für nur eine Minute abgestiegen bin, war er wieder kalt. Und bis er wieder warm war, waren meine Oberschenkel und mein Hintern tiefgekühlt.
Entgegen einer anderen sonstigen Gewohnheit habe ich meine dünnen Handschuhe im Auto angelassen, mit nackter Haut habe ich mich doch nicht ans Lenkrad getraut. Nicht weil ich fest frieren würde, sondern einfach, weil es so kalt sein würde.
Nach wenigen Sekunden fing die Windschutzscheibe an zu beschlagen. Also Lüftung auf die Scheiben und auf volle Kraft. Brrr.
Fuß auf die Bremse, Knopf am Schalthebel reindrücken – holla, geht der schwer. Den Hebel eine Position zurückziehen, in den Rückwärtsgang. Das fühlt sich an, als würde in dem Auto keine Luft mehr sein, sondern Sirup, durch den ich den Hebel ziehen muss. Ich gebe vorsichtig Gas, um rückwärts auszuparken, nach einen Meter will ich einlenken. Die Lenkung reagiert nicht, das Lenkrad wackelt nur leicht in seiner Position. Ich ziehe mit voller Armkraft am Lenkrad, und endlich bewegen sich die Räder auch nach rechts. Außerhalb der Parkbucht warte ich noch einen Moment auf ein Blickfenster in der Windschutzscheibe, dann fahre ich ganz vorsichtig los. Die Pedale funktionieren problemlos; ich fahre langsam genug, um auch mit der schwergängigen Lenkung um die Kurven zu kommen.
Erstmal zur Tankstelle. Die hat zwar gerade ein paar freie Zapfsäulen, aber die sind außer Betrieb. Ich will nicht untätig in der Kälte sitzen und fahre erstmal weiter Richtung Verleiher. Die nächste Tankstelle ist meine. Das übliche Spielchen, die üblichen Sprüche in der Tankstelle. Ich lasse das Auto wieder an und kurz darauf wird es in der Kabine endlich warm.
Wenn man nicht aufpasst, kann der Reifendruck zu weit absinken, weil die Reifen bei der Kälte Luft verlieren. An sich nicht so schlimm; aber wenn sich die Reifen dann beim Stillstehen breitdrücken, frieren sie in dieser Form ein. Die ersten paar Kilometer fahren sich dann sehr rumpelnd, bis die Reifen wieder warm und rund gefahren sind. Ältere Reifen platzen bei den Bedingungen dann schon gern einmal.
Scheibenwischen wird zum Abenteuer, denn das anfänglich quietschflüssige Wasser friert auf der Scheibe in etwa einer Sekunde zu einem Eisfilm, den die Scheibenwischer dann mehr oder weniger gut runter kratzen. So lange sieht man dann erstmal nichts oder nur streifenweise. Nach vier Versuchen hatte ich den Dreh raus: Wischer auf Hochgeschwindigkeit, und wenn das Wasser mit dem Dreck doch festgefroren ist, dann nochmal nachspritzen, das neue Wasser taut auch den Eisfilm kurzzeitig wieder auf. Danach brauchte ich nie mehr als zwei Durchgänge, bis die Scheiben wieder sauber waren.
Einen Tag nachdem ich mein Auto zurückgegeben hatte, habe ich, noch im Bett liegend, herausgefunden, wie es sich anhört, wenn man das Auto nicht eingesteckt hat: Der Motor braucht dann anfänglich etwa eine Sekunde für eine Umdrehung und wird nur ganz allmählich schneller, bis er endlich auf normaler Geschwindigkeit läuft. Wumm. Stille. Wumm. Stille. Wumm – - wumm – - wumm – - wumm – wumm – wumm – wumm – wumm wumm wumm wuummmmmmmmm. Ich brauchte erstmal ein Weilchen bis ich das eingeordnet hatte
Mir ist zum Glück nichts zerbrochen, aber der Hauptgrund, warum bei -40 keiner mehr draußen arbeitet (neben der körperlichen Anstrengung, die allein nötig ist, um den Körper warm zu halten), ist, dass Plastik- und auch Metallteile zu spröde werden und schon bei eigentlich normaler mechanischer Belastung zerbrechen. Nicht nur an Werkzeugen, auch so simple Dinge wie Autotürgriffe, oder die Griffe an Fenstern. An den wenigen Fenstern, die man überhaupt öffnen kann. Im GI habe ich kein einziges öffenbares Fenster gefunden.
Neben der erwähnten Smogglocke führt eine einfache physikalische Tatsache zu Problemen: Kalte Luft enthälte weniger Wasser als warme. Und sehr kalte Luft ist eben sehr trocken. Nach einer halben Stunde draußen habe ich regelmäßig erstmal einen halben Liter auf ex getrunken, für meine Verhältnisse sehr viel. Und dabei war ich nicht mal ins Schwitzen gekommen.
Eine Beobachtung, die nur mittelbar mit der Kälte zusammenhängt: Fairbankser fühlen sich in ihren einzigartigen und extremen Klimabedingungen zusammengehörig. Nicht wie eine große Familie, sondern sehr hilfsbewusst. Sie wissen um die Gefährlichkeit der tiefen Temperaturen und der Einsamkeit auf der Straße und helfen sich gegenseitig. Sicher auch in dem Hoffen, im Notfall selbst Hilfe zu bekommen. Aber einfach weiterfahren, wenn jemand in Not sein könnte, kommt hier nicht in Frage. Wohlgemerkt, nicht nur offensichtlich in Not ist, sondern sein könnte. Wo Krankenhaus, Abschleppdienst, selbst Zugang zu einem Telefon auch mit wenigen Kilometern schon unerreichbar weit weg sein können, kann jedes Wegschauen tödlich enden. Lieber nachfragen und sicher gehen als sich hinterher Vorwürfe machen. Sicher ist diese Einstellung durch die amerikanische Offenheit begünstigt. Aber in Fairbanks wird sie zu einem Zusammengehörigkeitsgefühl gesteigert, das eben nicht nur im Small Talk oder in Zeitungsartikeln Ausdruck findet, sondern da, wo es wirklich gebraucht wird – draußen, in der Kälte.
Das führte dann dazu, dass Mittwoch Nacht, als das Thermometer -39°C anzeigte und ich mit der Kamera draußen herumstapfte, ein Autofahrer neben mir hielt, und mir anbot mich heimzufahren – nicht der erste Fall. Ich war auf dem Campus unterwegs, weil ich darauf hoffte, dass das Thermometer wie früher schon gesehen innerhalb einer halben Stunde um ein Grad fallen würde – was es dann auch tat. Die -40 waren damit geknackt – und ich machte die Bekanntschaft eines heimkehrenden Truckers, der dicht eingepackt auf dem Fußweg zum nächsten Schnellimbiss unterwegs war. Dazwischen habe ich noch einen weiteren Autofahrer vorbeigewunken, der neben mir anhalten wollte. Viel mehr waren gar nicht unterwegs.
Noch mal zum Dahinstapfen. Der Schnee in Fairbanks ist sehr trocken. Wenn man durch frischen Schnee stiefelt, ist das wie durch Pulver zu laufen. Auf festgefahrenem oder festgetretenem Schnee dagegen erzeugen die Stiefel einen quietschenden Laut. Anschleichen ist da unmöglich. Das Quietschen ist unabhängig von den Schuhen, alle Leute, denen ich zu Fuß begegnet bin, haben mit den Füßen gequietscht.
Und wenn ich einmal bei den Geräuschen bin: der fallende trockene Schnee rieselt hörbar zu Boden. Und der kaltgefrorene Jackenstoff raschelt bei jeder Bewegung wie eine Papiertüte.
Autoabgase verbleiben dicht am Boden. Zerfallen langsam, steigen praktisch nicht auf. An einer Ampelkreuzung sieht man regelmäßig noch die Abgaswolken, während die Autos schon längst weggefahren sind. Sicher kein alleiniges Fairbanks-Winterproblem, aber bei -40° noch ein wenig extremer, die Sichtverhältnisse sind stellenweise wie in dichtem Nebel.
Diesen November machten sich die Fairbankser nicht nur Sorgen über die Wasserleitungen (und Haushaltsgeräte) in Häusern, wenn Leute die Heizung ausmachten. Diesmal ist die Kälte sehr früh gekommen, während der Schnee noch nicht sehr hoch liegt. Dieses Jahr besteht die Sorge, dass die Kälte durch die fehlende Schneeisolierung sich bis zu den Wasserleitungen im Boden durchfrisst und die vergrabenen Wasserleitungen einfriert.
Auch wenn ich nur etwas über einer halben Stunde bis nach Hause unterwegs war, zu Hause musste ich erstmal meinen Rucksack ein Weilchen stehen lassen oder ein Tuch über meine Laptoptastatur (der Laptop war im Rucksack) legen, weil sie unangenehm kalt war. Und nicht nur Türknaufe sollte man nicht anfassen; der Schlüssel in der Jackentasche ist auch schmerzhaft kalt. Ich habe gelernt, mit dicken Handschuhen nach ihm zu fischen.
So, als Abschluss noch ein paar Zitate aus einem Forum…:
I was staying at a friend’s cabin outside Nenana and it was so cold that my nostrils & eyelids froze shut just walking a few yards to the truck. Another time my outer mitten got damp, froze solid and cracked… while I was still wearing it. (how you deal with the cold)
Bic lighters also stop functioning at -60°F, cigarettes will go out on their own, any exposed flesh (including eyeballs) will freeze in under 3 minutes, and the water vapor in the atmosphere freezes and turns into an “ice-fog.” (what the cold feels like)
[Auf die Frage: How do you deal with the cold?]
What kind of cold are you referring to?
Windy cold, like in the Alaska Range?
Damp cold, like on the Aleutians?
Moderate cold, like on the Panhandle?
Or really fricken freeze everything in 30 seconds make your eyelashes stick together and your Rockstar slushy on the way to the truck that’s barely idling and hasn’t been shut off for 8 days because it’ll turn into a Chevycicle burnin’ diesel that’s just 4 degrees above turning into gel despite the fact that it cost $4 a gallon but it’s cheaper than freezing to death even if the heater only blows 20 degree air on “High” but you still have to pull over to help out some brainiac hippy Subaru driver with one headlight stuck in a ditch ’cause they swerved to miss a Ptarmigan and they don’t have a strap or a shovel so you let them in your rig and they stink like week old cheese and feet but hey it’s Alaska and we all do our own thing so no harm I’ll just Febreeze the seats after I drop you off in Fox way outta my way cold, like in the Interior?
[Temperaturangaben in Fahrenheit(!)]
At zero, it’s just uncomfortably cold if you’re not dressed appropriately. True, many will become acclimated somewhat more to the cold when they’ve been here for a while, but that usually can be attributed to changes in lifestyle such as raising their temperature regulatory functions in their body by increasing calorie intake to address how much more energy is consumed just to keep warm.
At 20 or 30 below, it’s gone well beyond being just uncomfortable and without preperations it’s very dangerous to take chances exposing the human body to exposure to those conditions. You dress accordingly but any chance mishap, at worst, can turn life threatening very quickly, or at the least, bodily injury is very easy to sustain.
From freezing to zero degrees, you will see people dressed appropriately, out for recreational purposes. 20 and 30 below, most everybody will only venture out if they cannot, for some reason, avoid it. [ebenfalls aus dem Forum]
… und ein paar Abschlussbilder:
Auf der Brücke über den Chena River. Die Dehnungsspalte ist bequem faustgroß.
Der dampfende Chena Ich weiß nicht sicher, wofür das Loch gemacht wurde, womöglich um an Wasser zu kommen. Von der Sorte gab es mehrere, und alle hatten das Aussehen eines Dampfbades, obwohl das Wasser nahe dem Gefrierpunkt sein musste.
Flash Freeze! Allerdings kam immer noch Wasser am Boden an. Dann wiederum hat mein Wasser auch nicht mehr gekocht, als ich es endlich draußen und in der Tasse hatte. Aber auch wenn nicht alles gefroren ist: Ein großer und wie ich finde sehr hübscher Teil ist fest geworden und wird früher oder später die Schneedecke auf dem Boden verstärken.
Selbsterklärend, denke ich.
Fairbanks, von Campushügel aus.
Sie wächst und wächst, die Dunstglocke.
Keine Polarlichter zu sehen. Aber selbst wenn es in der Woche welche gegeben hätte und die Dunstglocke nicht so dicht gewesen wäre – für minutenlanges Rumstehen hätten meine Wintersachen einfach nicht ausgereicht.
Was freu ich mich gerade auf mein warmes Bett! Gute Nacht!
Schilder
29. October 2011
Gibt’s auch in der Verion ‘PED XING’, hat aber auch da nichts mit Chinesisch zu tun. ‘X’ heißt hier nicht ‘X’ sondern ‘cross’, und dementsprechend sind hier bikes (oder pedestrians) crossing. Hat mich beim ersten Mal Sehen lange Grübelei gekostet.
Hier mal ein typisches Highway-Schild, dieses ist am George Parks Hwy zu sehen (aka Alaska Highway 3). Gibt es noch mit den Nummern 1, 2, und 4-11. Das Straßennetz Alaskas ist wirklich sehenswert. Wenn man bedenkt, dass es noch etliche mittelgrößere Orte im Westen gibt, ist klar, warum Alaska die höchste Flugzeugdichte der Welt hat.
Noch etwas, was die meisten, mit denen ich bisher geredet hab, unterschätzen: Alaska ist riesig. Seine Fläche liegt bei 1.7 Mio km2, was ein gutes Sechstel der 9.2 Mio km2 der gesamten USA ausmacht. Die derzeitige EU hat übrigens 4.3 Mio km2 – hier mal ein schönes Vergleichsbild. Und wenn wir schon bei Statistik und großen Zahlen sind: Es gibt mehr Rentiere (900 000) in Alaska als Menschen (700 000)
Sieht jemand, wofür die acht Sterne stehen?
Übrigens stammt der Name der Arktis vom Ursus arctos, der auch Namensgeber für Ursa maior und Ursa minor war. Auf (alt-)griechisch heißt der Bär nämlich arktos, auf latein ursus, und weil man den Himmels-Arktos in der Arktis bei Nacht immer sehen kann, heißt die Arktis dem Arktos zu Ehren jetzt Arktis. Und die Antarktis heißt Antarktis, weil sie was gegen Bären hat und diese nur mit dem Rücken anguckt.
Eigentlich kein Schild, sondern eher Leuchtreklame. Irgendwo bei North Pole auch statt des “Join us!” mit der sinnigen Aussage “Under the same management for over 2000 years!”. Auch wenn ich Jesus eher als Gründungsvater und den Papst als Manager sehe, spiegelt diese Werbeaussage den Kampf der US-amerikanischen Kirchen um ihre Kunden wider: St. Paul Church, Bible Baptist Church, Faith Baptist Church, First Baptist Church, Moose Creek Baptist Church, First Presbyterian Church, Friends Community Church, First United Methodist Church, Bethel Church und Lutheran Church, St. James Temple – African Methodist Episcopal Zion Church. Und das sind nur die, die ich bisher gesehen hab. Wo sich die Muslime, Mormomen, Jehovas (wo ist der Unterschied??) verstecken, hab ich noch nicht herausgefunden. Aber jetzt wo ich drüber nachdenke, ist dieses Splitterkirchentum vielleicht sinnvoller als Dutzende von Zweigstellen der gleichen Katholiken auf engstem Raum zu versammeln, wie zum Beispiel in Warschau. Die Warschauer Katholiken locken mit Protz und andächtigen Unverständlichkeiten und die Amerikaner locken eher mit schlichten Hütten und mitreißenden Reden. Das sind Äußerlichkeiten. Wirklicher Unterschied, der sich auch auf andere Lebensbereiche auswirkt: Die Warschauer waren stumm entsetzt, wenn ich mit meinen lila Haaren aufgetaucht bin, hier habe ich aufgehört zu zählen, wie oft mir mitten auf der Straße oder im Supermarkt schon gesagt wurde, wie cool meine Haare wären. Wenn sie schon schwarz nicht akzeptieren, lila ist offenbar willkommen
Ich habe es bisher für eine korsische Spezialität gehalten, diese angeschossenen Straßenschilder. Aber hier gibt’s die auch zu Hauf. Einziger Kommentar meiner alaskanischen Fahrerin: “It’s actually not allowed. They just do it, because they can.” Nun ja, Jagdwaffen aller Art gibt es im Supermarkt, etwas größere und speziellere im Sportladen, neben den Angeln und hinter diesen großen weiten Gummihosen zum Fischen im Fluss. “For the safety of our customers, all sales of firearms, ammunition, powder, primers, thermal underwear, and swimwear are FINAL”.
Adopt a Highway. Praktisch überall sieht man diese blauen Schilder rumstehen, mit einem Zusatzschild darunter, wer diesen Abschnitt adoptiert hat, meist irgendwelche lokalen Firmen. Wenn ich das recht verstanden habe, verpflichten sich diese Firmen, den Straßenrand am Highway auf 2 Meilen regelmäßig zu säubern. D.h. hauptsächlich Müll aufsammeln, manchmal sich um Pflanzen kümmern und vielleicht noch andere kleinere Arbeiten erledigen. Als Gegenleistung dürfen sie eben ihren Namen auf dieses Schild schreiben.
Was ist falsch an diesem Bild?
9. October 2011
Wer amerikanische Straßen kennt, weiß, dass es dort so gut wie keine Fahrradfahrer gibt. Ich habe in zehn Monaten genau zwei Fahrradfahrer in New York State gesehen, und die saßen beide auf einem Tandem. Aus zuverlässiger Quelle weiß ich, dass es im Süden Alaskas ähnlich aussieht: Man findet alle möglichen vierrädrigen Unmöglichkeiten, aber keine motorlosen Zweiräder. Doch in Fairbanks gibt es Fahrradwege und Fahrradständer und an der Uni kann man sich sogar Fahrräder ausleihen (solange man als Student eingeschrieben ist… hmpf.). Heute sind mir… nun ja, nicht viele, aber doch deutlich mehr Fahrradfahrer begegnet, als man in den USA erwarten würde. Fahrrad fahren ist bei diesen Straßen, die kilometerweit einfach nur geradeaus führen, deutlich angenehmer als Laufen, seufz. Ich tippe außerdem, dass auch arme Studenten so wenig Zeit wie möglich in der Kälte verbringen wollen.
Dir hängt da was aus dem… Motorraum!
9. October 2011
Beim ersten “E-Auto” hab ich mir noch nicht viel bei gedacht, aber als mir aufgefallen ist, dass wirklich _alle_ Autos hier ein Kabel aus irgendeiner Öffnung im Motorraum hängen haben, da bin ich doch ins Grübeln gekommen. Doch ich wurde aufgeklärt: Über das Kabel wird der Motor zwar nicht am Laufen, der Motorraum aber so warm gehalten, dass nichts einfriert und die Batterie den Motor starten kann. Die Steckdose dazu ist übrigens an der Säule ganz links im Bild.
Noch eine andere Sache zur Autofahrerei: Normalerweise sind die 55- 65 mph, die auf den amerikanischen Highways vorgeschrieben sind, pure Quälerei, wenn man sich daran hält. Schließlich sind die Straßen sehr breit, fast ohne Gegenverkehr und schnurgerade. Hier sind sie das zwar auch, aber trotzdem macht das Fahren bei höheren Geschwindigkeiten keinen Spaß mehr: Der strenge Frost im Winter und die heißen Sommer sorgen dafür, dass sich die Fahrbahn stellenweise hebt und senkt. Das Resultat sind hochstehende Bruchkanten, Dellen und Löcher in der Straßendecke. Vermutlich ist das Straßennetz Alaskas deshalb auch so grobmaschig – die Alaskaner müssen soviel Zeit und Geld in das Flicken vorhandener Straßen investieren, dass nichts für den Bau neuer Straßen übrig bleibt.
North Pole, Alaska 99705
9. October 2011
Santa wohnt bei mir gleich um die Ecke! Nämlich im
Santa Claus House
101 St. Nicholas Dr.
North Pole, Alaska 99705
Und North Pole liegt nur ca. 20 Meilen, also 30 km, von hier entfernt. Ich dachte erst, meine Netzhaut hätte einen Riss (die Windschutzscheibe hatte schon einen, von ganz links bis ganz rechts, über 1 m…), als ich auf der Rückfahrt gestern das Straßenschild mit dem Vermerk “North Pole, 17 m” entdeckt hatte. Ein Blick ins Internet belehrte mich eines Besseren: North Pole liegt tatsächlich in Zentralalaska (na, auch beim Lesen gestolpert?) und dessen Postbüro verarbeitet jährlich hundert Tausende von Briefen. Die Sekretäre im Santa Claus House verschicken auf Wunsch und gegen 9,95 $ personalisierte Briefe an kleine Kinder, große Kinder, heiratende Kinder, liebe Kinder, böse Kinder, gläubige Kinder, nichtgläubige Kinder… in der ganzen Welt. Außerhalb der USA gegen einen Portoaufschlag von 1 $: http://www.santaclaushouse.com.
Bevor aber jemand zum Telefonhörer hechtet: Erstmal einen dieser personalisierten Briefe durchlesen, lieber mir echten ersönlichen Brief und Empfängeradresse geben – und 3 $. Soviel kostet nämlich die Busfahrt hin und zurück. Das Einwerfen in den dortigen Briefkasten übernehme ich dann gratis.
Nenana Ice Classic
9. October 2011
Jedes Jahr im Oktober/November frieren in Alaska die Flüsse zu, so auch der Nenana. Und jedes Jahr im April/Mai tauen sie wieder auf. Seit 1917 hat es sich zum alaskischen Volkssport entwickelt, vorherzusagen, wann der Nenana wieder aufbricht. Im Jahr 1917 haben Eisenbahner erstmals um insgesamt 800 $ gewettet, mittlerweile liegt der Jackpot bei mehreren Hunderttausend Dollar. Um ihn zu knacken, muss man nicht nur den Tag vorhersagen, an dem das Eis aufbrechen wird, sondern auch die Stunde und die Minute. Und die wiederum werden über ein Gestell bestimmt, das im Herbst in den Fluss mit eingefroren wird und mit einer Uhr am Ufer verbunden ist – wenn das Gestell in den aufbrechenden Fluten versinkt, bleibt die Uhr stehen. Dieses Jahr haben 22 Leute richtig auf den 4. Mai, 16:24 Uhr getippt.
Wer mal einen Blick auf die Zeiten der letzten Jahre werfen oder selbst einen Tipp abgeben will, kann sich den Flyer hier anschauen: http://nenanaakiceclassic.com/2011.pdf, ein Tipp kostet 2,50 $.
Aber es soll ja Leute geben, die einen Wetteinsätze von kirschroten Lippen bevorzugen…
Entdeckt im Pioneer Museum, Fairbanks.
Die Liste ist nach den gewetteten Zeiten sortiert. “Merkwürdige Tipps wie Juli oder Oktober befinden sich im Anhang.”