13.-15. November, Anchorage Area I
18. December 2011
Comments Off
Mein letzter großer Ausflug sollte mich in die mit etwa 300000 Einwohnern größte Stadt Alaskas führen: Anchorage. Ursprünglich wollte ich Freitag früh losfahren und Sonntag Abend zurück kommen, aber der Wetterbericht sagte für Freitag und Samstag eine Menge Schnee und Wolken voraus. Wolken verdecken die Sicht, und Schneefall musste ich auf der 360-Meilen-Strecke nicht auch noch haben. Also habe ich Samstag gearbeitet und bin Sonntag in aller Frühe aufgebrochen und Dienstag Nacht zurückgekehrt. Ein Flug hätte etwa 400 USD für eine Richtung gekostet, außerdem wollte ich noch diese eine Wanderroute im Denali State Park ausprobieren. Also habe ich wieder ein Auto gemietet und weil man, wenn man das Auto über Samstag Nacht behält, einen extra Tag dazu bekommen kann, habe ich das Auto für Samstag Nachmittag bis Mittwoch Nachmittag gebucht. So konnte ich eben Sonntag noch lange vor Sonnenaufgang (und Ladenöffnung) aufbrechen und hatte für die Rückfahrt keinen Zeitdruck, zumindest was die Rückgabe angeht. Gekostet hat der Ford (diesmal blau) für die vier Tage 125 USD; diesmal habe ich einfach ausprobiert, den US-Bewohner-Preis zu bekommen, schließlich habe ich ja eine US-Adresse.
Geplant war, etwa um 7 am Sonntag aufzubrechen, um gegen Mittag am Kesugi Ridge zu sein. Dort wollte ich einem vorgefertigten Wanderweg (Trail) folgen, und nach Sonnenuntergang nach Anchorage weiterfahren. Bei gutem Wetter braucht man für die gesamte Strecke etwa sechseinhalb Stunden. Da die Straßen im Winter auch bei gutem Wetter schlecht sein können, habe ich keine Übernachtung gebucht, sondern wollte irgendwo an der Strecke absteigen, wenn ich zu müde zum weiterfahren würde. Am Montag Morgen wollte ich mir Anchorage anschauen und am Nachmittag nach Seward fahren, auf die Kenai-Halbinsel. Je nachdem, wie ich vorankäme, wollte ich in Seward oder auf dem Weg übernachten und dann entweder noch Montag Abend oder Dienstag Morgen auf den Exit Glacier klettern (“you should take a dog-moosh [sic] up there”), und dann irgendwann am Dienstag über die längere Route über den Richardson zurückfahren. Ich wollte irgendwann spätabends in Fairbanks eintreffen, je nach Wetter eben am frühen Morgen, oder zur Not in irgend einem Motel übernachten und am Mittwoch Morgen zurück fahren. Soweit der grobe Plan.
Ganz bis Seward bin ich nicht gekommen, auf dem Parks Hwy wurde ich von der Polizei angehalten, auf dem Weg nach Seward habe ich halbunfreiwillig im Auto übernachtet, auf dem Rückweg habe ich nicht die Meilen gezählt, sondern dem Thermometer zugeschaut, wie es unerbittlich von 11°F auf unter -30°F gefallen ist, und auf dem Richardson hatte ich einen rentierverursachten Unfall. Klingt aufregend? Dann schnell weiterlesen
Along the George Parks Highway
Wer mich kennt, hat es wahrscheinlich schon vermutet, um 7 bin ich natürlich nicht aufgebrochen. Ich bin kurz nach 6 aufgestanden, habe die innerste Lage angezogen, habe gefrühstückt, meinen Proviant geschmiert, das Auto beladen – danach war mein Zimmer praktisch leer. Dann habe ich den Schnee vom Auto gefegt – der Vorteil der tiefen Temperaturen, ich musste kein Eis kratzen. Ich war für alle möglichen Zwischenfälle gerüstet, ich habe selbst meinen Schlafsack mitgenommen, um im Notfall (also Auto kaputt und keine Hilfe in Sicht) wenigstens warm bleiben zu können. Unmittelbar vor Abfahrt habe ich noch mal einen Blick auf die Website der Straßenwacht geworfen, nicht dass ich vorhatte, meine Pläne zu ändern. Das gesamte Gebiet um Anchorage war rot markiert, offenbar hat es dort in der Nacht sehr heftig geschneit. Egal, bis ich da bin, würden die Straßen wieder befahrbar sein. Keine Warnungen bis Denali außer dem obligatorischen, aber wenig hilfreichen “icy patches, drive carefully”.
Zehn vor 8 ging es dann endlich los. Es hatte gerade angefangen zu dämmern, die Luft enthielt lauter kleine Eisflöckchen und ich habe an dem Morgen und am Abend zuvor riiiiesige Lichtsäulen gesehen. Noch Tage zuvor bin ich dafür durch Tiefschnee gestapft, und jetzt habe ich sie vom Fenster aus in viel stärkerer Ausführung gesehen. Es waren um die 0°F, und innerhalb der ersten zwanzig Minuten hatte ich schon zweimal erlebt, dass die Straßen auch ohne geschlossener Eisschicht rutschig sein können. An der ersten Ampel sprang das ABS an, dabei war genügend Platz bis zur Kreuzung, ich hatte nur die starke Reaktion der Bremsen auf meinen Fußtritt unterschätzt. Ansonsten fand ich es praktisch, wieder den gleichen Autotyp bekommen zu haben, diesmal hatte ich keine Probleme mit der nicht vorhandenen Kupplung, und ich hatte noch ungefähr in Erinnerung, wo die Schalter alle waren. Beim Schneeabfegen habe ich auch herausgefunden, warum ich beim letzten Mal am Scheibenwischerhebel partout nicht die Einstellung für den Heckscheibenwischer finden konnte – den gibt’s am Ford Focus nicht. Ein paar Meilen außerhalb von Fairbanks bin ich dann in einer Rechtskurve ins Rutschen gekommen, trotz eingehaltener Geschwindigkeit, aber anders als die Fahrerin des Suburban zum Table Top Mountain habe ich richtig reagiert und gefühlvoll zurück auf meine Spur gelenkt. Von da an bin ich mindestens 10 mph langsamer als vorgeschrieben durch die Kurven gefahren.
Die Straßen waren mal mehr und mal weniger schneebedeckt, auf dem Großteil der Strecke aber kein Problem, da die Straßen recht gerade sind.
Ich liebe alaskische Sonnenaufgänge! Und Untergänge. Viel besser als am Meer.
Erfreulicher Zwischenfall: ein Elch am Straßenrand. Vorbeifahrende Autos scheinen Elche nicht zu stören, erst wenn man anhält und sie fotografieren will, verziehen sie sich. Aber der hier hat sich nur langsam verzogen. Ich kann ihn aber verstehen, bei dem Quietsch-Dröhnen, das die Fordreifen auf dem Seitenstreifenschnee erzeugen, würde ich auch flüchten. Übrigens nicht nur auf dem Seitenstreifen; überhaupt ist der kalte Schnee sehr laut, wenn man sich auf ihm fortbewegt.
Nach 150 Meilen erreichte ich das Örtchen Cantwell an der Stelle, an der der Denali Highway vom Parks Highway abzweigt. Bestimmt eine spektakulär zu fahrende Straße, aber zum Großteil ungepflastert und damit für meinen Mietwagen laut Vertrag nicht zulässig und außerdem im Winter gesperrt. In Cantwell selbst habe ich eigentlich nur zwei Tankstellen gesehen, an der ersten habe ich meinen halben Tank wieder aufgefüllt. Ich wollte ja schließlich nicht nervös auf die nächste Tankstelle hoffen, während der Zeiger erbarmungslos auf das “E” zukriecht.
Eine gute Stunde später kam ich dann zu der Einfahrt zum Parkplatz für meinen Wanderweg. Auf die Idee, dass der nicht geräumt und für meinen kleinen Frontantriebford unbefahrbar sein könnte, bin ich davor natürlich nicht gekommen. Eine halbe Meile weiter wurde ich aber fündig, dort war eine Haltebucht. Diese sog. Pullouts oder Turnouts sind etwa hundert Meter lange Straßenstreifen parallel zum Highway, mit zwei Zufahrten. Zum einen für Touristen gedacht, damit sie in Ruhe fotografieren können ohne den Verkehr zu blockieren, zum anderen auch für Trucker und andere Autofahrer, um eine kurze Pause einzulegen oder Schneeketten anzulegen. Raststätten in dem Sinne gibt es ja nicht, bis auf die paar Tankstellen entlang der Strecke. Dieser Pullout, den ich da gefunden hatte, war zwar auch nicht geräumt, aber hatte mehrere Reifenspuren. Das Stückchen zum Wanderweg konnte ich auch an der Straße entlanglaufen… Nach etwa drei Metern sind mir trotzdem die Reifen durchgedreht.
Ich hab das Auto dann erstmal Auto sein lassen und bin losgelaufen. Dem grauen Himmel nach würde es ohnehin nochmal schneien, und dann konnte ich den festgefahrenen Schnee gleich zusammen mit dem frischen Schnee zur Seite schaufeln.
Blick vom Highway in eine kleine Schlucht. Irgendwo dahinter muss mein Wanderweg verlaufen.
Am Weganfang wird man mit Hinweisschildern darauf hingewiesen, das man hier Bärland betritt, und wie man Hypothermia (Unterkühlung) verhindert oder zumindest erkennt. Ich hatte mich wie bei den anderen Wanderungen warm angezogen und noch ein paar extra Klamotten dabei, Unterkühlung sollte trotz der -10°C also kein Problem sein. Bären halten zur Zeit Winterschlaf, vor denen hatte ich keine Angst. Wenigstens, bis ich die ersten frischen Spuren auf dem zugeschneiten Weg gesehen habe, und dann wieder als ich sie als Elchspuren entziffern konnte.
Blick vom Wanderweg…
… und auf den zugeschneiten Wanderweg.
Eine Elchtrapse!
Der Weg war – natürlich – zugeschneit, aber das hält ja mich störrischen Wanderer nicht davon ab, trotzdem hier langzulaufen. Am Anfang ging das auch noch ganz gut, der Elch hatte vergleichsweise kleine Schritte gemacht und so konnte ich seiner Spur folgen. Später dann bog der Elch ab und ich fand heraus, warum er teilweise neben der Spur gelaufen war: Auf dem Weg selbst war der Schnee teilweise hüfttief, und neben dem Weg “nur” etwa knietief. Es ging zum Großteil nur schwach bergan, als es dann endlich steiler bergan ging, bin ich halb auf Knien, halb auf Füßen gelaufen. Nach etwa zwei Stunden habe ich dann beschlossen, dass der graue Himmel zwar aussieht, als würde er jeden Moment aufreißen, das aber schon seit zwei Stunden tat und kein einziges Mal den Blick auf die Berge in der Umgebung freigegeben hat. Somit waren meine Chancen, doch noch einen Blick auf den McKinley zu erhaschen praktisch null, genau wie meine Motivation. Da der Pfad ohnehin nicht zu meinem Parkplatz zurückkehrt sondern erst etwa 30 Meilen weiter südlich auf den Parks Hwy zurückführt, kehrte ich etwas eher um als geplant. Was auch gut war, denn die letzten Kilometer hatte ich große Mühe überhaupt noch meine Beine anzuheben.
Tricky: Großer See mit Auslauf, und alles mit Schnee überdeckt. Das letzte was ich wollte, war, etwa eine Stunde abseits der Straße und außer Hörweite bei -10°C ins Wasser zu fallen. Nach etwas Suchen fand ich dann aber doch die “Brücke” über den Abfluss und konnte mich Schritt für Schritt vorsichtig ran und drüber tasten.
Wie bin ich wieder aus dem Pullout, dem Parkplatz, rausgekommen? Ich hatte mich gerade erschöpft auf den Fahrersitz fallen lassen und wollte mich ein wenig ausruhen, bevor ich mich aus den äußeren Klamotten schälen würde. Da kam ein Pickup-Truck vom anderen Ende der Haltebucht zu mir gefahren, mit zwei toten Rentieren beladen. Da drin saßen zwei Männer, die mir ihre Hilfe anboten, und mit Rückwärtsgang und den beiden Schiebern konnte ich fast mühelos auf die Hauptstraße zurücksetzen.
Nachdem ich mich ausgezogen hatte, bin ich losgefahren. Um nach nicht mal einer Minute und noch im Beschleunigungsvorgang im Rückspiegel zu sehen, wie das Polizeiauto, das mir eben entgegen gekommen war, umdrehte und sein Lichterspiel anmachte. Blaulicht, Rotlicht, weißes Abblendlicht und gelbes Warnlicht. Etwas irritiert bin ich nach einer Weile rechts ran gefahren, eigentlich, damit er mich besser überholen könnte. Ich war nicht zu schnell gefahren, ich hatte ja noch nicht mal meine Reisegeschwindigkeit erreicht. Allerdings hatte ich das Abblendlicht erst angemacht, als er mir entgegen kam. Das Auto hat mich dann aber nicht überholt, sondern hat hinter mir angehalten. Mr. State Trooper hat in sein Funkgerät gesprochen, seinen Hut vom Beifahrersitz gesammelt und kam zu mir vorgelaufen. Und fragte mich dann, ob ich da vorn stecken geblieben war. Offenbar hatten ihm meine beiden Helfer (oder andere, die das Auto stehen sehen haben) gesagt, nach mir zu schauen. Als ich ihm erzählt hab, warum ich da stand, und ja, dass ich alleine wandern war, hat er mir noch erklärt, was ein “Spot Tracker” ist, nämlich ein Notrufgerät, das per Satellit Alarm an die State Troopers gibt, wenn man auf einen Knopf drückt und so Hilfstruppen zur Auslöseposition schickt. Kostet 100 Dollar, plus ich-hab-vergessen-wieviel-aber-nicht-wenige jährliche Gebühren. Davon abgesehen haben wir uns ganz nett unterhalten und ich durfte dann weiter unbehelligt meines Weges ziehen.
Übrigens wurde ich schon, nachdem ich in die Haltebucht gefahren war und noch im Auto saß, von einem Schneepflugfahrer gefragt, ob ich stecken geblieben wäre und Hilfe bräuchte. Und als ich auf dem Weg zum Wanderweg war, hielt ein Pärchen ABS-schlitternd neben mir an, um sicher zu gehen, dass alles ok wäre.
Der weitere Weg nach Anchorage verlief eher ereignislos. Die Sonne ging unter, es gab (mal wieder) ein spektakuläres Farbspiel dabei. Anchorage selbst dagegen erstickte im Schnee. Der Highway nach Anchorage rein geht nach und nach in eine normale Straße über führt direkt in die Innenstadt. Und die hatte etliche Zentimeter Schneehöhe, die Straßen waren von hüfthohen Schneehaufen umsäumt, waren aber selbst nicht geräumt. Stattdessen haben zahllose Autos die Straßen frei gefahren. Nur in Kreuzungsbereichen nicht, und da galt es die richtige Balance zwischen nicht zu wenig Gas geben um nicht stecken zu bleiben und nicht zu viel Gas geben um nicht schleudernd dem nächsten geparkten Auto zu nahe zu rücken. Ich bin heil durch gekommen, habe mir dann aber doch etwas außerhalb ein Motel gesucht. Um 11 hab ich tief und fest geschlafen, bis der Wecker um 7 geklingelt hat.
13.-15. November, Anchorage Area II
18. December 2011
Downtown Anchorage
Auf nach Downtown Anchorage! Am Abend zuvor war ich von leuchtenden Billboards begrüßt worden. Eine sehr seltene Sicht in Alaska, aber typisch für größere US-Städte. Nach den leeren Straßen nördlich von Wasilla hab ich mich gefühlt, als würde ich in New York einfallen. Da ich gerade am Flughafen John-F-Kennedy in New York sitze, weiß ich, dass der Vergleich hinkt – but you get my point.
Downtown Anchorage ist Fairbanks nicht ganz unähnlich, vom Stil her. Aber die Straßenbenennung ist noch einfacher: Es gibt A, B, C, usw. Street, und dazu kreuzend 1st, 2nd, 3rd, usw. Avenue. Ich brauchte mir also nur G13 merken, um zu wissen, wo mein Auto knapp außerhalb der Bezahlparkzone steht. Anchorage ist sogar jünger als Fairbanks, die ersten festen Behausungen, die nicht hauptsächlich aus Stoff bestanden, wurden 1915 gebaut. Heute stehen in der Innenstadt hauptsächlich zweistöckige Touristenfallen (4th Ave) und kaltherzige Mittelhochhäuser (der Einfluss von Manhattan; noch vor einer Woche hätte ich sie Hochhäuser genannt). Aber direkt am Ufer zum Cook Inlet (ein Blick auf die Karte: Anchorage liegt am Ufer des Cook Inlet, da, wo Turnagain Arm (südlicher Ausläufer) und Knik Arm (nördlicher Ausläufer) einmünden) hat sich eines der ersten Häuser erhalten können, das von Oscar Anderson.
Blick über den Cook-Inlet, von in der Nähe des Oscar-Anderson Hauses.
Die Straßen sind schon wieder befahrbar. So leer, wie es auf dem Foto ist – da muss eine Menge Schnee per LKW über Nacht wegtransportiert worden sein.
Obligatorisch, ein Totempfahl. Ich konnte aber nicht herausfinden, von welchem Stamm er stammt, oder ob er überhaupt eine tiefer gehende Bedeutung hat.
Neben einer Statue eines Schlittenhundes – in Anchorage beginnt nicht nur der Iditarod sondern auch das Fur Rendezvous – gibt es noch diese Statue eines Alaska Territorial Guards. Weit über 6000 Freiwillige haben während des zweiten Weltkriegs die nördlichen Küsten Alaskas beobachtet und auf feindliche Aktivitäten hin überwacht. Zu der Zeit war Alaska nicht mal Teil der USA, trotzdem fanden Teile der Kämpfe auf alaskischem Boden statt.
Das 4th-Avenue Theater. Herzensangelegenheit des Movie Tycoons Cap Lathrop, der in Deutschland unbekannt sein dürfte, aber in Alaska bekannt ist für den Versuch ein wenig Hollywood nach Alaska zu bringen. Wurde 1947 als Nachfolger des 1916 eröffneten Empress Theaters gebaut. Das Empress Theater hatte auch den ersten Betonbürgersteig in Anchorage.
Etwas, das mir erst in Anchorage aufgefallen ist: In Fairbanks gibt es keine Eiszapfen! Vermutlich ist es in Fairbanks zu kalt und die Häuser zu gut isoliert. Dadurch kann sich kein flüssiges Wasser bilden, das dann diese coolen Stalaktiten formt. In Anchorage, an dem Morgen immerhin bei -10°C (“boah ist das kalt heute”), ist es für die Eiszapfen dagegen warm genug. Ich habe ganze Häuserfronten gesehen, die von Eiszapfenreihen verdeckt waren. Der hier im Bildvordergrund hat auch noch einen kleinen Eis- äh Ausläufer, einen ice spike.
Furchtbar interessantes Gebilde, dieser ice spike, das zustande kommt, weil Wasser von der Oberfläche her gefriert und das darunterliegende Wasser sich beim Gefrieren ausdehnt – und sich seinen Weg durch noch nicht versiegelte Wasseroberfläche bahnt. Gibt es auch in unseren Breiten, natürlich, und kann am häufigsten zwischen -5 bis 0°C entstehen. Mit ein wenig Glück kann man ice spikes auch selbst züchten, in einer Schale, die man mit Wasser füllt und bei leichten Minusgraden raus stellt. An besonders schönen Exemplaren kann man dann die dreieckige Grundfläche erkennen, die sich auf die hexagonale Gitterstruktur des Eises zurück führen lässt. An Eiswürfeln oder überhaupt ebenen Eisflächen können die spikes relativ groß und lang werden; das hier gezeigte Exemplar an dem Eiszapfen ist dagegen eher mickrig.
Noch ein Wort zu den -10°C: Obwohl die Temperaturen in Anchorage für mich vergleichsweise warm waren, war der Morgen mit einer steifen Brise vom Wasser her eher unangenehm.
Der Bahnhof von Anchorage. Er liegt an der 478 Meilen langen Eisenbahnstrecke Seward-Fairbanks, die 1914 vom US Congress beschlossen wurde. Neben dem Panama Railway ist sie damit die einzige Strecke, die von der US Regierung gebaut bzw. in Autrag gegeben wurde. Acht Jahre dauerte der Bau; das Ziel war, den Pazifikhafen Seward mit einem Ort im Landesinneren zu verbinden, der über Fluss erreicht werden kann, um – natürlich – Bodenschätze und Truppen zu transportieren. Ziviler Zugang für Siedler oder auch einfach die Post wurde damit nebenher auch erleichtert.
Und die Strecke ermöglichte die Matanuska Valley Colony: 1935, während der Great Depression schickte die US-Regierung etwa 200 Familien aus dem Norden der Lower-48 (Wisconsin, Michigan, Minnesota, allesamt Staaten, die auch nicht gerade für ihre warmen Winter bekannt sind) nach Alaska. Die armen Leute wurden mit hohen finanziellen Vergünstigungen gelockt, und sollten die Alasker mit kälteresistentem Gemüse versorgen. Der Plan ging nur teilweise auf; ein großer Teil der Familien flüchtete vor der Kälte. Die, die blieben, hatten während des zweiten Weltkriegs, als die amerikanischen Truppen in Alaska versorgt werden mussten, eine wirtschaftliche Blüte. Danach ging es auf und ab; heute gibt es noch vereinzelte Farmen, und jedes Jahr den größten Landwirtschaftsmarkt Alaskas.
DIE Geschäfts- und Touristenstraße in Anchorage, die 4th Avenue. Hier ist man richtig, wenn man Souvenirs sucht, Felle, oder einfach nur die Touristeninformation.
Eine nicht so hübsche Seitenstraße führt nach wenigen Schritten auf eine niedrige Häuserreihe voller Graffitis. Neben mystischen Ausschweifungen gab es auch eine Menge Szenen aus der Geschichte Alaskas, wie die Waljagd (oben) oder die Wachen auf dem US Airforce Landeplatz mit landestypischem Rollfeld (unten).
Ich bin beeindruckt. Am Vorabend waren die Schneehaufen am Straßenrand etwa hüfthoch. Was mich aber in Anchorage am meisten begeistert hat, sind die schneebedeckten Berge ringsum und die Stadtatmosphäre. Die Gebäude haben denselben kalten Minenstadt-Charme wie Fairbanks. Aber anders als in der wirklich hässlichen Minenstadt Kiruna (Nordschweden) fühlt man sich hier willkommen, das Kalte wirkt etwa so kalt, wie die Außenseite eines Eisbärenfells kalt ist. Im Inneren, hinter den Mauern, die der Kälte trotzen müssen, sind die Leute so offen und freundlich wie die restlichen US-Amerikaner. Das trifft im Wesentlichen auch auf Fairbanks zu, aber die Gebäude in Fairbanks sind stärker auf Kältewiderstand ausgelegt und deutlich weiter voneinander entfernt. Fairbanks ist eher wie eine Trutzburg im Inneren der Kältewüste Alaskas. Anchorage dagegen hat eher den Charme einer Stadt, mit echten Menschen, die auf der Straße laufen (nicht lachen, aber so üblich ist das in den USA in den Kleinstädten nicht), die zwar auch tiefe Temperaturen sieht, aber von Fairbanks aus gesehen quasi auf halber Strecke zum warmen Süden liegt. (Vielleicht ist mir auch einfach der 15°C-Temperatursprung nach oben zu Kopf gestiegen )
Einer der unzähligen Parks in Anchorage, der Delaney Park Strip zwischen 9th und 10th Avenue, mit verschiedenen Spuren im Schnee und vergleichsweise freier Sicht auf die Berge. Im Rücken habe ich den Cook Inlet.
Hier ist noch ein wenig Schnee übrig geblieben. Zum Glück sind die Straßen gut beschildert, denn ab der 10th Avenue sahen wirklich alle Straßen gleich aus, mit schmucken Häuschen mit kleinem Vorgarten mit klischeehaftem Vorstadtcharme. Auf dem Bild ist es übrigens 12:49 Uhr, auch wenn es die tiefstehende Sonne anders vermuten lässt.
Ich bin beinahe zu weit gelaufen, als ich endlich wieder in “meiner” Straße war. Schnell ins Auto gehüpft, einen Zwischenstop an der nächsten Tankstelle eingelegt und dann nix wie raus aus Anchorage. Ich wollte ja noch bis Seward, was etwa 2-3 Stunden auf einer der schönsten Straßen der USA entfernt sein sollte.
Die Straße aus Anchorage war gut frei, mit etwas Schneewehen, und ich kam gut voran.
Aber dann sah ich einen Berg mit flacher Kuppe (der sich später als Flattop Mountain herausstellen sollte). Und von dem hätte man bestimmt einen guten Ausblick über Anchorage, den Cook Inlet, und die Berge… Dumm nur, dass ich es dann nicht vor Sonnenuntergang bis Seward schaffen würde.
Kurzentschlossen bin ich auf eine Seitenstraße eingebogen, die aussah, als würde sie auf den Flattop Mountain führen.
Der Fuß ist vollerVillen und teuren Häusern. Ich winde mich durch ein Gewirr an kleinen Straßen, immer auf dem Weg nach oben. Irgendwann stelle ich mein Auto ab und mache mich zu Fuß auf den Weg. Da oben, die sonnenbeschienene Kuppe, das ist mein Ziel.
Am Anfang konnte ich noch die Straße entlang laufen; hier ein Blick zurück Richtung Downtown Anchorage im Hintergrund, dahinter der Cook Inlet. Es sollte sich noch als schwierig herausstellen, an den privaten Grundstücken vorbei bis zur Spitze zu kommen. Und noch viel später sollte sich herausstellen, dass es auf der Nordseite des Berges einen Wanderweg gibt. Aber der hätte garantiert nicht so eine schöne Aussicht gehabt. Und bis ganz nach oben kann der auch nicht führen, sonst hätte ich ihn sehen müssen…
Flattop Mountain
Ich werde hier nicht schreiben, wie genau ich an den erwähnten Privatgrundstücken vorbeigekommen bin. Auf jeden Fall bin ich nach einem anstrengenden Waldstück (voller Schnee) auf dieses kleine Plateau gekommen (auch voller Schnee). Die erste Verschnaufpause schon nach ein paar hundert Metern (wenn überhaupt), im Süden die Kenai-Halbinsel und der Cook Inlet. Weiter ging es immer geradewegs nach oben, mal mehr oder weniger nah an Bäumen vorbei. Manchmal konnte ich auf dem Schnee laufen, manchmal brach ich durch den Harsch und steckte dann bis zum Bauchnabel im Schnee. Manchmal konnte ich mich zu einem Baum durchschlagen, in dessen unmittelbarer Nähe der Schnee nur ein paar Zentimeter hoch lag, manchmal bevorzugte ich die direkte Route durch etwas über kniehohen Schnee, um nicht auf der Rückseite des Baumes wieder eine Schneewehe hochklettern zu müssen. Je weiter nach oben es ging, um so seltener kamen die Bäume, und irgendwann wurde der Schnee angenehm flach, wo der Wind ungebremst über den Boden strich. Stellenweise noch knietief, konnte man gut sehen, wo auf dem Fels quasi nur drei Schneeflocken lagen.
Nur im Pullover, bei -10°C und mittelstarkem Wind. Und immer wenn man denkt, man ist auf den letzten Metern, taucht hinter der Kuppe eine noch höhere Kuppe auf.
Dafür lohnt sich der Blick zurück…
Den Kamm bin ich hoch gekommen. Unterwegs habe ich mehrere frische Elchspuren gesehen. Downtown Anchorage liegt rechts vom Bildrand; die Küste fängt an zu gefrieren; dahinter der Cook Inlet mit niedrigem Wasserstand.
Nun ja, eine Eisschicht schützt immerhin vor Wind…
Es wird immer besser, je weiter man hoch kommt. Als ich dort stand, überkam mich das Verlangen, den felsigen Kamm bis zu dem spitzen Berg in der Bildmitte entlangzulaufen. Allerdings war es nicht mehr lange bis zum Sonnenuntergang, und so musste ich wohl oder übel verzichten.
Eine Schneewehe, vom Wind um einen Stein geformt. Nichts besonderes, aber hier sieht man, warum ich so gern von Baum zu Baum gelaufen bin, nur dass weiter unten die Schneewehen mindestens hüfthoch waren.
Auf die fast schneefreie Kieselsteinebene hab ich mich gesetzt und erstmal was gegessen und die Aussicht genossen.
Nein, hier ist noch nicht Schluss. Auf dem Bild unten kann man rechts den Knik Arm erahnen, und auf etwa 3/4 des Bildes vom linken Bildrand befindet sich die Innenstadt von Anchorage, erkennbar an der winzigen Ansammlung an “Hochhäusern”.
Habe ich schon erwähnt, dass ich alaskische Sonnenuntergänge liebe?
Kleine Salzkristalle in der Seeluft haben einen ähnlichen Effekt wie Abgaspartikel in der Stadtluft: Sie streuen das Sonnenlicht und rufen farbenfrohe Sonnenuntergänge hervor.
Eine Lichtsäule auf dem Cook Inlet.
Hoppla.
DAS nun wieder hat mich etwas beunruhigt. So schön Elche sind – Elchkuh mit Kind gehörte nicht gerade zu meiner Wunschliste von Wildlife encounters. Erstmal abwarten und Foto machen.
Die beiden fingen an, an trockenen Zweigen zu knabbern und mir wurden die Füße kalt. Der Wind und die Erschöpfung nach diesem langen Tag machten sich jetzt doch bemerkbar. Also stieg ich vorsichtig weiter ab – und weckte sofort das Misstrauen der beiden. Als ich hinter einem Baum wieder hervorkam, sah ich zu meinem Entsetzen nur noch die Elchkuh. Das Kind war weg. Die nächsten Häuser waren zwar nur ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt. Aber erstens war nicht klar, ob die gerade bewohnt waren, und zweitens wusste ich ja, wie tief der Schnee dorthin sein würde. Eine trampelnde Elchkuh würde also hier sehr unpraktisch sein. Also tat ich wohl oder übel das einzig Sinnvolle: ich machte einen sehr großen Bogen um die Elchkuh herum, auch wenn das hieß, durch tiefen Schnee einen steilen Hang entlang stolpern zu müssen. Als ich wieder auf den Weg (also meine Fußspuren) stieß, war die Elchkuh weg und ich beruhigt.
Auf dem weiteren Weg nach unten hatte ich nochmal kurz Herzklopfen, als ich Menschenstimmen hinter einer dichten Reihe von Büschen hörte, aber die stellten sich als ein Paar auf dem Weg nach oben heraus, die wohl den verbleibenden Sonnenuntergang beobachten wollten, und als Vater mit Sohn auf dem Weg nach unten, die einen Plastikschlitten dabei hatten.
Zurück auf der Straße, und im Hintergrund die ersten Lichter von Anchorage.
Und hier eine Wolke im Süden, die noch von der untergegangenen Sonne angestrahlt wird, kurz vor 17 Uhr.
13.-15. November, Anchorage Area III
18. December 2011
Turnagain Arm
Im Dämmerlicht fuhr ich dann den Turnagain Arm entlang, eine umwerfende Strecke. Keine Sorge, es kommen noch genügend Bilder.
Ich fuhr bis zum Ende des Turnagain Arm; zur besseren Orientierung hier eine Karte. Etwa da, wo die 1 ist, bin ich umgekehrt, weil ich nicht nach Seward fahren wollte, nur um sagen zu können, dass ich in Seward war. Ich wollte in Seward eigentlich noch auf einen Gletscher klettern, aber viel Zeit hätte ich dafür ohnehin nicht gehabt, ich musste ja noch 8h+ nach Fairbanks zurück fahren.
An dem Wochenende vor mir sind Min-Shiu und eine Freundin von ihr nach Seward gefahren. Ursprünglich wollte ich mitkommen. Dagegen sprach dann aber, dass ich selbst am Samstag Morgen erst nach um 7 vom Polarkreis zurück gekommen war… und die Planung des Ausflugs. Die beiden sind irgendwann Samstag Vormittag in Fairbanks losgefahren, den ganzen Tag bis runter nach Seward gefahren, haben also etwa acht Stunden im Auto verbracht. In Seward haben sie übernachtet, am nächsten Morgen von der (sehr schönen) Umgebung dort Fotos gemacht und sind den ganzen Sonntag zurück gefahren, um abends wieder in Fairbanks zu sein. Unterwegs wurden sie von der Polizei angehalten, und mussten für 20 mph zu schnell 300 USD Strafe zahlen (!). Später wurden sie nochmal angehalten, weil sie mit Fernlicht gefahren sind, aber da wurden sie nur zurecht gewiesen, ohne Strafe. – Zum Glück bin ich nicht mitgefahren.
Zurück zu meiner eigenen Fahrt. Seward war mir zu weit weg, in Portage gab es keine Übernachtungsmöglichkeit, nach Whittier kommt man nur gegen 10 USD Tunnelmaut (eine Richtung), also versuchte ich mein Glück in Girdwood. Ein kleines Kaff mit einer großen Beleuchtungsanlage für die Skipiste. Das B&B aus der Touristenbroschüre habe ich partout nicht gefunden, aber es gibt ja das große Hotel. Schon im Eingang wusste ich, dass das nicht meine Preisklasse ist, Nachfrage an der Rezeption bestätigte das. Mittlerweile war ich hungrig, müde, erschöpft, und völlig demotiviert. In Anchorage gab es haufenweise bezahlbare Unterkünfte, aber Anchorage war eine Fahrstunde entfernt. Ich hatte einfach keine Lust mehr. Blödes einsames Alaska, wenn man mal ein Motel am Straßenrand braucht, ist natürlich keins da.
Also habe ich mich eine handvoll Meilen von Girdwood entfernt auf einen Turnout gestellt, direkt am Turnagain Arm. Habe erstmal den Rest meines Proviants gegessen. Und mich dann warm angezogen und in meinen Schlafsack gewickelt. Mein Kissen hatte ich ohnehin mit. Nur ein kurzes Nickerchen, wenn ich wach und wieder fahrbereit bin, fahre ich nach Anchorage und miete mich in ein Zimmer ein. Tatsächlich habe ich dann die gesamte Nacht auf dem Turnout verbracht. Das Auto ist seeehr schnell ausgekühlt, alle zwei bis drei Stunden bin ich vor Kälte aufgewacht (immer noch um die -10°C, 11°F) und habe den Motor für eine Viertelstunde angemacht, das letzte Mal zum Sonnenaufgang. Kurz nach 9 bin ich dann mit der Befürchtung verschlafen zu haben aus meinem Schlafquartier gehetzt, habe Reste gefrühstückt, mir die Zähne geputzt und habe mich auf den Weg zum Schneemobilmann gemacht. Nicht ohne wenigstens die geniale Aussicht zu genießen.
Am Vorabend; die Mündung des Turnagain Arm im Licht nach Sonnenuntergang. Im Vordergrund riesige Eisschollen, die Richtung Cook Inlet treiben und sich gegenseitig die Ränder fusselig reiben.
Etwa halb 10 Uhr morgens, Blick Richtung Westen…
… und Blick Richtung Osten.
Noch im Halbschlaf und zähneputzend löste ich ein kleines Rätsel, über das ich in der Nacht gestolpert war: Am Abend ging die Strömung so stark Richtung Cook Inlet, dass ich schon überlegt hatte, ob hier ein großer Fluss mündet. In der Nacht sah es so aus, als würden die Eisschollen in die umgekehrte Richtung treiben, zusammen mit dem Wind, der aus Westen kam. Allerdings trieben die Schollen sehr schnell, untermalt von einem leichten Rascheln, das vom Aneinanderreiben der Ränder herrührt. Am nächsten Morgen dann ging die Strömung wieder aufs Meer hinaus. Ein wenig Recherche und Hinweisschilder klärten mich auf: Der Turnagain Arm hat eine der stärksten Gezeiten der Welt, mit Unterschieden im Wasserstand zwischen Ebbe und Flut von knapp 10 m, und einer Flutwelle, die bis zu 2 m hoch sein kann. Vor allem aber bewegt sich diese Flutwelle mit 20 km/h und mehr, was die schnelle Strömung erklärt.
Am tiefsten Stand sieht der Turnagain Arm etwa so aus wie der Cook Inlet auf den Bildern vom Flattop Mountain: Mit feinen Wasserrinnen im Schlammuntergrund. Und dieser Schlammuntergrund hat es in sich! Sieht fest aus, und fühlt sich fest an, wenn man drauf haut. Wenn man aber darauf versucht zu stehen, sinkt man ein. Erstmal nicht schlimm, wenn man weiß, dass man genauso langsam wieder herausgezogen werden muss, wie man eingesunken ist; wenn man zu stark zieht, verhält sich der Boden bloß wieder wie ein Festkörper und gibt den Eingesunkenen nicht frei. Das Problem entsteht erst, wenn man eingesunken ist, sich nicht befreien kann, und in der Zwischenzeit die Flutwelle wieder kommt…
Einen Eindruck von der Flutwelle (bore tide) bekommt man in diesem Video.
Strahlende Sonne zwischen den Berggipfeln und hinter einer Wolkenbank. Wenn man genau hinsieht, sieht man im Sonnenlicht Wasserdampf zwischen Turnagain Arm Wasseroberfläche und Wolkenunterkante.
Das ist später am Nachmittag, auf der Rückfahrt Richtung Fairbanks über Anchorage. Am Turnagain Arm muss man nicht nur immer das Licht anhaben, sondern hier gilt auch doppeltes Strafmaß. Außerdem ist es verboten, langsam zu fahren. Ist auch unnötig, für Touristen gibt es Turnouts zu Hauf.
Es gibt Orte, an denen möchte ich nicht sein, und diese Berggipfel da drüben zählen dazu. Ich bin mir nicht sicher, ob diese weißen Schwaden Wolken oder aufgewirbelter Schnee sind; beides ist bei pfeifendem Wind und -10°C sicher nicht angenehm.
Die Straße führt direkt am Fels entlang, links geht es steil runter zum Wasser. Man beachte den eingefrorenen “Wasserfall” ganz rechts im oberen Bild.
Eis, Eis, Eis. In Schollen und als Eisbrei. Und immer das Rauschen dazu, wenn nicht gerade der Wind mal wieder pfeift.
14:15 Uhr.
Der Seward Highway gehört zu den National Scenic Byways der USA, ist etwa 200 km lang. Der Turnagain Arm macht davon etwa 80 km aus. Anschließend geht es auf die Kenai-Halbinsel und in Gletscherterrain.
Girdwood
In Girdwood, diesem kleinen Kaff gibt es eine kleine Touristenfalle. Zu Hochzeiten fahren sie dort ein bis zweimal am Tag mit dem Schneemobil auf einen der Gletscher. November ist keine Hochsaison. Im Sommer kommt man mit dem Boot dorthin, im Winter über das gefrorene Wasser. Im November kann man dafür eine Ersatztour zu einer Goldmine machen. Mir egal wohin, ich wollte Schneemobil fahren.
Dummerweise sollte an dem Tag, an dem ich in die Touristenfalle ging, keine Tour stattfinden. Aber ein Freund des Besitzers bietet Hundeschlittentouren an, ob ich da nicht Lust hätte. Hatte ich natürlich, sogar mehr als auf Schneemobil, aber ich hatte nicht erwartet, dass man das ohne Voranmeldung machen kann. Ich musste mich dann auch noch zwei Stunden gedulden, bis es los ging. In der Zwischenzeit habe ich mich mit dem Ladenpersonal unterhalten und auf dieser Wiese vernügt:
Die Unterhaltung mit Mitarbeiter Matt fing etwa so an:
“Brrr, it’s friggin cold today, isn’t it.”
- woraufhin ich erstmal lachen musste. Sein Chef, mit dem ich davor schon ein Weilchen gesprochen hatte, klärte ihn dann auf:
“She’s from Fairbanks.”
Den Stapel an weißen Fellen konnten sie mir nicht als Felle von Eisbärbabies verkaufen (“Little kids usually start to cry when we tell them these are the furs of polar bear babies” – tatsächlich waren das Hasenfelle, aber eben weiß). Anschließend wurde ich als nicht anerkannte Touristin noch in typische Lästereien eingeweiht, über Kommentare von besonders unintelligenten Touristen (beim Anblick eines Polarlichts: “Whoa what’s that? Atomic fallout from Japan?”).
Den dog musher, den Schlittenhundeführer sollte ich dann auf der Moose Meadow treffen, also der Elchwiese. Natürlich gab es dort keine Elche zu sehen, aber dafür Eiskristalle. Und zwar was für welche!
Groß wie 5-Mark-Stücke. Und überall. Und da. Und noch ein Foto. Und jetzt sind die Akkus leer. Macht ja nix, ich hab ja Ersatzakkus dabei. Die waren aber die ganze Zeit in meinem Rucksack gewesen und eiskalt. Ich konnte zwei Fotos machen, dann machten sie schlapp. Ich wärmte sie kurz in meiner Hand auf, aber das hielt nicht lange vor. Und dann kam auch schon Dario, der Schlittenhundeschlittenfahrer. Der hat sie dann später bei sich auf die Heizung gelegt.
Angekündigt hat er sich durch Hundegekläff und Gejaul, über mehrere zehn Minuten lang. Zu der Zeit etwa hat er die Hunde eingespannt. Und da allen Schlittenhunden das Laufen und Ziehen im Blut liegt, wollen alle Hunde genau das tun: dabei sein und Laufen und Ziehen. Wenn es los geht allerdings ist Ruhe. Anders als in Filmen bleibt den Hunden überhaupt keine Luft mehr zum Bellen. Ein Marathonläufer redet ja auch nicht nebenher.
Dario hat am Iditarod teilgenommen, und ist hauptberuflich Hundschlittenfahrer. Oder vielmehr Schlittenhundeführer. Denn Schlittenhunde müssen ja auch im Sommer fit gehalten werden, wenn kein Schnee liegt. Entweder mit einem Karussel, das die Hunde drehen, oder auf einem Gletscher. Das wiederum ist teuer, denn neben dem Menschen und den Hunden müssen auch die Ausrüstung, Hundefutter und Hundehütten auf den Gletscher geflogen werden. Überhaupt ist die Hundehaltung nicht billig. Haupteinnahmequelle der Iditarodianer ist der Tourismus, allenfalls noch Fernsehauftritte u.ä.
Unser Schlitten wird von sieben Hunden gezogen. Eher viel für zwei Leute, aber Dario wusste ja vorher nicht, dass ich ein Fliegengewicht bin. Auf dem festgetretenen Schnee geht es sehr zügig voran, Bodenwellen sind nicht so angenehm. Ein Stückchen weit geht es durch frischen Tiefschnee. Obwohl die Hunde gut hören, muss Dario mehrmals eingreifen, um die Tiere in den Schnee zu lenken. Klar, auf dem Weg läuft es sich einfacher.
Die Kommandos sind kurz und klar. Wenn die beiden Leithunde nicht wissen, was sie machen sollen, bleiben sie stehen und gucken sich um. Wenn sie es zwar wissen, aber woanders lang laufen wollen, hören sie zumindest auf das wichtigste Kommando, “Whoa!”. Denn die Hunde zum Laufen zu bringen ist keine Kunst, das Anhalten ist schwieriger. Die eigentliche Arbeit des dog mushers besteht jedoch darin, die Hunde als Team zu trainieren und ihrem Charakter entsprechend auf die verschiedenen Positionen zu verteilen.
Im Tiefschnee müssen die Hunde kämpfen, um den Schlitten vorwärts zu bewegen. Sie laufen weniger, als dass sie über den Schnee springen, einsinken, und wieder springen müssen. Als wir eine Pause einlegen, um den Kernel zu besuchen, können die Hunde verschnaufen.
Sie sitzen ruhig da, schwanzwedelnd, lassen sich kraulen. Schlittenhunde wurden gezüchtet, um einerseits Schlitten zu ziehen, andererseits wurden sie aber nachts mit in das Schlafzelt genommen, der extra Wärme wegen. Das hieß aber, dass die Hunde sehr kinderlieb sein mussten, denn in den Zelten lebten ja meist auch kleine Kinder. Und so haben alle alaskischen Schlittenhunde zwei Eigenschaften gemein: die Freude am Laufen und Friedfertigkeit.
Ein Huskywelpe. Aufgeregt, aber lässt sich trotzdem kraulen. Und: er hat schon gelernt, dass er nicht aus dem Käfig springen darf.
Das Zuhause der Hunde. Die winzigen Einzelzellen als Hundehütten haben mich etwas verstört. Weniger der Kälte wegen. Ich denke schon, dass sich ein alaskischer Schlittenhusky bei deutlichen Minusgraden wesentlich wohler fühlt als bei Zimmertemperatur. Und dass die Geschlechter getrennt sind, kann ich auch nachvollziehen. Hier allerdings ist jeder Hund für sich allein, zum Schlafen eingezwängt in eine kleine Tonne, die von gelbem Schnee umgeben ist. Der Geruch ist dementsprechend.
Regel Nummer 1 beim Dogmushing: Der Musher sollte, egal was er tut, sich immer vor dem Schlitten aufhalten. Wenn ihm die Tiere doch mal durchgehen, kann er so wenigstens noch versuchen, auf den Schlitten aufzuspringen.
Aber die Hund sind lieb, und versuchen nicht, mit mir durchzubrennen.
Dafür überlege ich, was mir mehr weh tut: meine Wangen, oder meine Finger. Im Stehen macht das Schlittenfahren mehr Spaß, aber man muss seine Hände am Schlitten haben.
Am Ende aber war die Fahrt trotzdem viel zu kurz.
On the Richardson Highway
Ich bin etwa halb 2 von Girdwood losgefahren, ganz gemächlich und viele Fotos machend den Turnagain Arm entlang, an Anchorage vorbei. Kurz vor Wasilla hab ich mich gutgelaunt für die lange Route entschieden, über den Glenn Highway mitten durch den Alaska Range und dann von Glennallen aus den Richardson Highway nach Norden hoch, am Donnelly Dome vorbei, durch Delta Junction und North Pole. Die sollte etwa 70 Meilen länger als die Parks-Route sein, schätzungsweise 8 bis 9 Stunden ohne Pause. Von Anchorage aus.
Etwa halb 4 und kurz vor Sonnenuntergang hab ich nochmal in Palmer getankt, kurz nach der Abzweigung auf den Glenn Hwy, denn in den “Ballungsgebieten” ist das Benzin um fast einen halben Dollar günstiger als an den Highway-Tankstellen. Anschließend habe ich mich von den Bergen entlang des Glenn Hwy beeindrucken lassen, und das nicht zu knapp. Schade, dass es dunkel wurde, und ich nur etwa ein Drittel der Strecke im Sonnen- bzw. Dämmerlicht sehen konnte.
Danach wurde es langweilig. Erst wurde der Radioempfang immer schlechter, dann war er ganz weg. Bei Glennallen hatte ich für ein Weilchen klassische Musik, und um Delta und in der Nähe von Fairbanks gab es Musik. Die meiste Zeit aber war das Radio stumm. Für einige Zeit habe ich an meiner Sänger-Karriere gefeilt, aber auch das habe ich nicht länger als eine halbe Stunde ausgehalten. Nach insgesamt vier Fahrtstunden habe ich eine längere Pause eingelegt und etwas gegessen und den tollen alaskischen Sternenhimmel bewundert. Anschließend habe ich geübt mich mit Handschuhen aus- und anzuziehen. Ich hatte ja den Temperaturverlauf schon erwähnt; in Girdwood waren etwa 11°F, als ich losgefahren bin, und ich wusste, dass für die Nacht in Fairbanks -29°F vorausgesagt waren.
Solange die Sonne schien, blieb die Temperatur mehr oder weniger konstant bei 11°F, aber nach Sonnenuntergang ging sie kontinuierlich nach unten. Als ich Rast gemacht habe, gegen halb sieben, war die Temperatur bei 0°F (-18°C) und das Auto ist extrem schnell ausgekühlt. Drei Stunden später stand auf der Anzeige schon -15°F (-26°C). Ab etwas tiefer als -20°F fand ich die Temperaturen ziemlich albern und musste lachen. Ich weiß nicht, ob das Übermüdungslachen war oder Lachen der Verzweiflung, auf jeden Fall habe ich sehr häufig den Kopf geschüttelt. Insbesondere als wir die -30°F geknackt haben aber ich Fairbanks immer noch nicht erreicht hatte. Ich war hin- und hergerissen zwischen “nur gut, dass ich im warmen Auto sitze” und “eigentlich müsste ich mal den Kopf zum Fenster rausstrecken, um zu fühlen, wie kalt das ist”. Letzteres hab ich bleiben lassen, ich bin statt dessen auf einen kleinen Spaziergang gegangen, als ich in Fairbanks war.
Meine Nachbarin, die zeitgleich mit mir ankam, hat mich nur entgeistert angeschaut, als ich meinte, dass ich nochmal los will. Allerdings hatte sie weiß gefrorene Wimpern und DAS wiederum fand ich nun wieder cool und wollte ich auch haben. Letztendlich hatten wir -34°F (-37°C) in der Nacht und ich hatte keine Mühe, meine weißen Wimpern zu bekommen.
In der Nacht habe ich auch zum ersten Mal mein Auto an die Steckdose gehangen, ein kleines Lämpchen zeigt an, wenn der Motor Saft hat: Man muss nämlich noch im Hausinneren einen Schalter umlegen, damit an der Steckdose wirklich Spannung anliegt.
Aber zurück zur Fahrt. Außer im Ballungszentrum Anchorage und um Fairbanks erkennt man den Highway daran, dass er etwas flacher ist als die Umgebung und von einem Schneehaufen begrenzt. Und danach fährt man dann auch.
Ich habe zwar eher durch Zufall herausgefunden, wo man am Ford das Fernlicht anmacht (wer kommt auch auf die Idee, dass Fern- und Abblendlicht an zwei völlig unterschiedlichen Schaltern sein könnten?), aber ein bisschen Wind und aufgewirbelter Schnee machte diesen Vorteil wieder wett. Ich habe die Trucks beneidet, die oben am Fahrerhaus wahre Monsterscheinwerfer haben und damit bestimmt eine halbe Meile weit leuchten können. Ich aber habe mich mit viiiiiel zu kurzer Sicht durch das Schneegestöber gequält. Und manchmal habe ich nur relativ kurze Schneeschleier auf mich zukommen sehen…
…oder vor lauter Schnee gar nichts mehr.
Dementsprechend bin ich nicht sonderlich schnell vorangekommen. Kurz nach Sonnenuntergang hatte ich noch drei Elche am Straßenrand gesehen, wobei der dritte gerade dabei war auf meiner Straßenseite von der Straße runter zu laufen. Angehalten habe ich nicht, ich hatte ja mittlerweile genügend Elche gesehen. Außerdem wollte ich ja nach Hause. In Glennallen habe ich beschlossen, dass mir 4,40 Dollar für eine Gallone zu teuer sind (statt 3,90 in Anchorage und Fairbanks) und ich eh noch deutlich mehr als einen halben Tank habe und damit locker bis Delta Junction in etwa 150 Meilen kommen müsste.
Die Verkehrsdichte war dort gelinde gesagt sehr niedrig, ich habe pro Stunde etwa ein Auto gesehen, manchmal auch zwei. Der Vorteil war natürlich, dass ich in der Mitte der Straße fahren konnte, ohne dass ich mir über Gegenverkehr (kilometerweit sichtbar) oder unerwartete Kurven (hatte ja Platz) Gedanken machen musste. Mehr Gedanken habe ich mir gemacht, als im Lawinengebiet statt Schnee Eiskrümel gegen das Auto geweht wurden.
Wie gesagt, Dutzende von Meilen ohne Lichter am Straßenrand, ohne Begrenzungspfosten, ohne Gegenverkehr, ohne Tankstellen, ohne Radio, nur mit Schnee und keine Abwechslung.
Kurz nach zehn und 15 Meilen vor Delta Junction habe ich dann meine ersten und einzigen freilaufenden Rentiere gesehen.
Dummerweise waren das Mamma Rentier, auf meiner Straßenseite, und Kind Rentier, auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Rechts vorbei war mehr Platz, aber beide bewegten sich – gemächlich! – nach rechts. Die Straße war nicht vereist, aber mit einer Frostschicht bedeckt. Also habe ich vorsichtig gebremst und hinter das Hinterteil von Kind Rentier gelenkt. Ging auch super, ich bin nicht ins Rutschen gekommen und Mamma und Kind Rentier haben doch noch einen halben km/h zugelegt, so dass ich locker hinter Kind Rentier vorbeigekommen bin.
Aber dann stand Papa Rentier vor mir.
Normalerweise halte ich bei plötzlich auftauchenden Wildtieren genau drauf zu und hoffe, dass sie doch noch die Flucht ergreifen. Aber wenn Papa Rentier stehen bliebe, würde ich ihm wohl die Beine wegschlagen und er könnte mich dann durch die Windschutzscheibe zur letzten Guten Nacht küssen. Ich habe wahrgenommen, wie mein Fuß das Bremspedal stärker durchgedrückt hat, und daraus, dass ich angefangen habe, mich zu drehen, schloss ich, dass ich nach rechts gelenkt haben musste. In dem Moment habe ich mich auch mental zurückgelehnt und gedacht, dass ich jetzt eh nichts mehr machen könnte. Aber wenigstens würde ich mit der Drehgeschwindigkeit Papa Rentier mit dem Heck des Autos erwischen. Schlecht für’s Auto, aber sehr gut für mich.
Zum Stehen gekommen bin ich in Schnee, der Zusammenprall mit Papa Rentier war ausgeblieben. Das Thermometer zeigte -18°F, -28°C. Ich habe meine Jacke übergezogen und bin ausgestiegen. Die Vorderräder waren im Straßengraben, im Schnee versunken, die Hinterräder halb auf der Straße. Also wieder eingestiegen, und Rückwärtsgang rein. Die Vorderräder sind durchgedreht. Also wieder raus. Ein wenig den Schnee um die Räder zur Seite geschoben, und wieder rein. Vorderräder wieder durchgedreht. Alle Räder komplett vom Schnee befreit, aber rückwärts kam ich einfach nicht wieder hoch. Gummi qualmt auch bei -28°C. Am Nordhorizont war der orangene Schimmer von Delta zu sehen, im Süden war alles schwarz. Ich war gerade etwas nördlich von Donnelly Dome, dort wo ich ein paar Wochen zuvor die Wölfe heulen gehört hatte.
Vielleicht könnte ich ja vorwärts wieder hochkommen. Dazu müsste ich eine mehrere Meter lange Spur graben, für die Räder komplett schneefrei, für den Unterboden wenigstens auf die Hälfte abtragen. So langsam merkte ich, wie meine Skisocken durchgeweicht waren und der Schnee von außen an den Socken festfror. Stückchenweise konnte ich das Auto vorwärts arbeiten, nach einem halben Meter hatten beide Hinterräder wieder Bodenkontakt, aber ob ich den Hang hochkommen würde, wusste ich nicht. Bei dem Sturm im Alaska Range war ich noch froh, dass der Ford so schwer war, dadurch hab ich den Wind kaum gespürt. Hier habe ich das Gewicht verflucht, weil mein Schieben den Ford nichtmal zum Wackeln gebracht hat.
Nach etwa einer Dreiviertelstunde habe ich erste Erschöpfungsanzeichen gemerkt, nicht mehr lange, und ich würde mich erstmal im Wageninnern ausruhen müssen. Zum Glück lief der Motor noch, und damit konnte ich den Wagen warm halten. Aber zu Essen hatte ich nichts, ich hatte meinen Proviant ja nicht wieder aufgefüllt.
Dann sah ich doch ein Licht am Südhorizont, das quälend langsam näher kam. Ich stellte mich in das Rücklicht des Ford und wartete ab. Als ich das Licht als Lkw-Scheinwerfer identifizieren konnte, fing ich an, langsam die Arme über dem Kopf zu schwenken. Noch lange, bevor ich etwas hören konnte, wurde ich gesehen und der Lkw schaltete sein Fernlicht aus. Er wurde langsamer, und ein paar Meter vor mir kam er sicher zum Stehen. Ein kurzer Wortwechsel, dann verständigte der Fahrer kurz den Fahrer unmittelbar hinter sich und stieg aus. Ketten hatte er dabei, genauso wie einen Parka. Zu zweit haben die beiden Lkw-Fahrer dann nach einer Stelle am Ford gesucht, an der sie die Ketten befestigen konnten. Ein wenig Rangieren, Ketten an der Hinterachse des Lkw befestigen und losfahren. Er hat mich etwa fünf Meter die Böschung entlang gezogen, auf die Straße hat er mich nicht bekommen.
Dann haben wir beratschlagt, was wir als nächstes versuchen könnten. Zwischenzeitlich hatte ich meine Socken und Schuhe gewechselt, aber meine Füße waren trotzdem kalt. Und seit ich nicht mehr hektisch im Schnee wühlte, wurde mir auch oben rum kalt. Während die beiden ganz gemütlich in ihren Parkas dastanden (der eine hat ihn nicht mal zugemacht…) habe ich so langsam angefangen, heftig zu zittern.
Wir haben dann die Kette verkürzt, und der Lkw ist auf die Gegenspur rübergefahren. Der Unterschied war nicht groß, der Lkw hatte noch einen Anhänger, aber er hat gereicht: nach weiteren drei Metern entlang der Böschung ging es endlich nach oben. Ich stand dann zwar entgegen meiner Fahrtrichtung (“so now she’ll have to go back all the way to Glennallen”), aber das Wenden war nun wirklich kein Problem mehr.
Großer Jubel, ich habe meine letzte Essensreserve, eine Tafel Milka, mit den beiden Truckern geteilt und bin anschließend zwischen den beiden Lkw bis Delta Junction gefahren. Immer noch bzw. dann wieder zitternd habe ich nachgetankt und mich nochmal kurz mit einem der beiden Trucker unterhalten, bis der (ohne Jacke) meinte, er müsste jetzt doch mal rein gehen, seine Hände würden kalt. Er hatte mich noch vor Elchen auf dem letzten Stückchen bis Fairbanks gewarnt, aber wie immer, wenn Elche angekündigt waren, habe ich keine gesehen. Die restliche Fahrt verlief etwas (aber nicht deutlich) langsamer, und ereignislos. Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, bis mir wieder warm war. In Fairbanks war ich dann etwa um 2 Uhr morgens.
Am nächsten Morgen konnte ich keinen sichtbaren Schaden am Auto feststellen, habe dem Vermieter aber trotzdem gesagt, dass er sich mal den Unterboden ansehen sollte. Nicht, dass der nächste Mieter unverhofft mitten im Nirgendwo liegen bleibt und weniger Glück hat als ich…
9. Oktober 2011, Downtown Fairbanks
11. November 2011
Besser spät als nie… Ich hatte vor ein paar Wochen einen Ausflug in die Downtown Fairbanks gemacht, und auch einen Post dazu angefangen. Weil der aber umfangreicher wurde als geplant, habe ich abgebrochen und ihn dann gemächlich vor mir hergeschoben. Eine nervtötende Last in meinem Hinterkopf, und da ich heute in der Uni schon seitenweise getippt habe, sind meine Finger schon warmtrainiert und können den Beitrag beenden. Et voilà:
Heute war ich in der Innenstadt von Fairbanks.
Das klingt deutlich unbeeindruckender, als es ist. Die Innenstadt ist von meiner Unterkunft ca. 4,5 Meilen entfernt. Heute ist Sonntag, daher fahren auch keine Busse. Auto oder Fahrrad hab ich nicht – bleiben nur noch die Füße.
Das ist eine Karte von Fairbanks. Das blaue Band ist der Chena River, am großen blauen Kreuz links oben befindet sich das Geophysical Institute, am kleinen blauen Kreuz etwas rechts davon wohne ich. Die rote Strecke bin ich heute gelaufen, gegen den Uhrzeigersinn, auf dem Streckenabschnitt südlich des Chena Rivers befanden sich die Sehenswürdigkeiten. Zum Vergleich: Vom kleinen bis zum großen Kreuz brauche ich zu Fuß eine gute halbe Stunde. Übrigens hatte ich heute Morgen noch von der Wanderung gestern Muskelkater… Ich bitte um Mitleid! Auch stellvertretend für meine Füße, die mir vorhin beim Eierkuchenbacken wüsteste Morddrohungen ausgesprochen haben. Aber ein Gutes hatten die beiden Gewaltmärsche dieses Wochenende: Ich bin meinen Jetlag los! Beim Laufen hat man wohl keine Zeit, um müde zu sein.
Nun aber zu Fairbanks. Wer auch immer den Namen ausgewählt hat, ich muss ihm zustimmen. Das Flussufer des Chena Rivers ist wirklich sehr hübsch. Das war es dann aber auch schon; Fairbanks selbst hat den Charme eines Zinkklotzes. Außerdem wurde der Name zu Ehren irgendeines Politikers gewählt. Versteht mich nicht falsch, es gibt durchaus Nettes zu sehen in Fairbanks. Aber die Gebäude selbst sind irgendwie alle entweder pragmatisch oder klobig-protzig.
Bei meiner Wanderung habe ich mich lose an die Tour des Visitor Information Center gehalten (sowas wie die Touristeninfo, das eigentlich offen sein sollte, dann aber doch nicht war). Danach ist der Platz vor den beiden “Hochhäusern” auf dem Bild, der Golden Heart Plaza, in etwa das Zentrum des historischen Fairbanks. Die etwas unscheinbare Uhr vor dem rechten der beiden Häuser ist ein Teil dieses Platzes. Von dort aus ist das untere Bild entstanden:
Die Kirche ist die erste (römisch-)katholische Kirche in Fairbanks, die Immaculate Conception Church von 1904. Das Bankgebäude rechts daneben war ursprünglich ein Krankenhaus, und weil Kirchen in Fairbanks anscheinend neben Krankenhäusern zu stehen haben, wurde die Kirche im Winter 1911 von der anderen Uferseite neben eben jenes Krankenhaus verschoben.
Ungefähr so alt wie die Kirche ist auch Fairbanks selbst: 1901 hat ein gewisser Captain Barnette an der Stelle, an der das Foto gemacht wurde, sein Handelsschiff entladen und zwei Cabins aufbauen lassen. Warum gerade da? Er wollte eigentlich bis zum Trail zum Klondike, kam nicht über die Wasserfälle des Tanana, versuchte über den winzigen Chena River diese Wasserfälle zu umfahren und hat so sein Schiff auf Grund laufen lassen. Der erste Kunde in seinem unfreiwilligen Handelsposten war Felix Pedro, von Beruf Goldsucher. Im Juli 1902 fand er welches in der Nähe von Fairbanks (“There’s gold in them there hills”) und löste damit einen Goldrush aus, durch welchen Fairbanks innerhalb weniger Jahre zur größten Stadt Alaskas wuchs. — Pedro wurde 1910 von seiner Frau vergiftet, Barnette flüchtete 1911 bei Nacht und Nebel mit einer halben Million Dollar die vermutlich aus seiner Bank stammten in der Tasche aus der Stadt, und Fairbanks wurde in der Größe von Anchorage überholt. Das Goldgräberflair ist gelieben, und die Fairbanker [sic] schauen stolz auf ihre Pioniergeschichte zurück.
Vom Pioneer Park wusste ich zuvor nur, dass er sich lohnen sollte. Ich hatte Bäume und Wiese erwartet, wie es sich halt für einen Park gehört. Tatsächlich kann der Pioneer Park aber besser mit dem Wort Museumspark beschrieben werden, oder meinetwegen Amusementpark. Als ich da war, war er aber zum Großteil geschlossen – also, der Park war offen, aber die Ausstellungen waren geschlossen – weshalb ich nur vermuten kann, dass er im Sommer als Vergnügungspark herhält. Der Pioneer Park enthält verschiedene alte Blockhäuser, ein paar Goldgrabungsmaschinen, ein indianisches Dorf, zwei kleine Museen und den einzigen überlebenden Holzschaufelraddampfer (wooden-hulled sternwheeler), das zweitlängste überlebende Holzboot (70 m), die Nenana.
Am Ufer des Chena River sowie im Pioneer Park stehen noch einige Originalhäuser der ersten Stunde. Einfache Holzhäuser, teils aus dünnem Holz und mit niedrigen Türen, nur ein Stockwerk.
Als sich die Nachricht vom Goldfund 1902 herumsprach, kamen die Leute, wie sie zuvor schon zum Klondike geströmt sind. Es war mitten im Winter (Telegrafenleitungen gab es ja nicht, die Nachricht ist also nur verhältnismäßig langsam nach Süden und Osten gesickert), euphemistisch gesprochen etwas kühl, und die Goldsucher bauten die Blockhütten in Windeseile. Fenster bedeuten Wärmeverlust, tagsüber haben die Bewohner ohnehin Gold gesucht – und Fensterscheiben waren transportlicher Luxus und damit verzichtbar. Der Ofen stand in der Mitte des Raumes – um alle Ecken möglichst gleichmäßig zu wärmen, ohne die Hütte abzufackeln. Die Türen waren möglichst niedrig, um die mühsam bereitete Wärme nicht dadurch zu verlieren, dass man kurz raus zum Outhouse musste. Geschlafen wurde auf erhöhten Betten, aufgestanden wurde mit einem gezielten Schritt direkt in die Schuhe, der Boden war ja… kühl.
Frauen haben sich auch nach Fairbanks getraut. Zum Großteil Prostituierte, und Tänzerinnen. Manche haben auch selbst Gold gesucht. Nach den Geschichten zu urteilen, die ich bisher so gelesen habe, war die sicherste Variante sehr schnell an sehr viel Geld zu kommen ein Hotel zu eröffnen. Manche haben sich auch als Essensversorger durchgeschlagen, andere haben Pferde verliehen als Lasttiere für den beschwerlichen Weg zu den Goldflüssen Alaskas und des Yukon Territories, über den White Pass oder Chilkoot Trail, aber das war eher zur Zeit des Yukon Gold Rushes. Welche Überraschung, die Goldgräberstädte waren voller Schwindler; am “nettesten” fand ich die Geschichte von Belinda Mulrooney, deren Mann ihr Vermögen verprasste, das sie sich mit ihrem – damals berühmten und gut besuchten – Hotel erarbeitet hatte. Obwohl, wenn ich mir den Werdegang des ehrenwerten im Bankgeschäft tätigen Herren E. T. Barnette anschaue, glaube ich nicht, dass sich die Menschen seitdem viel geändert haben
Obiges Bild stammt aus dem UAF Museum. Das nachfolgende entstand dagegen wie die obigen Blockhütten im Pioneer Park, die Citizens’ Mill.
Das rechte Gebilde ist ein Steinstampfer, der gefundenes Gestein zerbröseln sollte. Die Überreste wurden auf die flache Metallplatte links geschüttet. Die vibrierte, so dass das leichtere Gestein mechanisch vom Gold getrennt wurde. Den Namen Citizens’ Mill hat dieser maschinelle Goldsucher daher, dass er von den Einwohnern Fairbanks’ kostenlos genutzt werden durfte. Als der Goldboom nachließ, haben ein paar Geschäftsmänner zusammen gelegt und dieses Monstrum gekauft, In der Hoffnung, dass wenn die Leute ihre Gesteinsproben einfach untersuchen lassen können, der Goldrausch noch ein wenig anhält. Letztendlich war die Gesteinsmühle nur 6 Jahre in Betrieb, bevor sie von einer besseren Maschine ersetzt wurde. Aber Gold wird heute noch in der Umgebung abgebaut.
Diese bunkerähnliche Anlage heißt Kashim und wurde von Athabaskischen Familien bewohnt. Die Encyclopaedia Britannica sagt dazu folgendes:
Among the Yupiit a special large semisubterranean house, called a kashim by the Russians, was used for public and ceremonial occasions and as a men’s residence. The kashim was the place where men built their boats, repaired their equipment, took sweat baths, educated young boys, and hosted community dances.
Obwohl die Natives hier einen größeren Anteil an der Bevölkerung bilden als in den Lower-48, ist dieser indianische Teil des Pioneer Parks sehr mager gehalten. Eher wie ein “ach ja, und die haben wir auch noch”.
Durch den gesamten Park zieht sich eine Eisenbahnlinie. Und an deren Ende (und Anfang) befindet sich das Tanana Valley Railroad Museum, eigentlich nur ein herausgeputzter alter Bahnhof.
Etwas nordöstlich des Pioneer Parks befindet sich das “echte” Ende der Alaska Railroad, zumindest laut Schild.
Das Schild mag das Ende der Schienen markieren, den nördlichsten Punkt aber sicher nicht. Der Blick auf dem Foto ist nämlich geradewegs nach Norden gerichtet
Ich kann aber bezeugen, dass die Eisenbahnlinie nach Westen und dann nach Süden abbiegt… nachdem sie an meinem Haus vorbeigeführt hat :/
Zurück zum Pioneer Park. Eine echte Fundgrube ist das Pioneer Museum, das von Freiwilligen auch außerhalb der Touristensaison offen gehalten wird. Ein Sammelsurium an Dachbodenmaterial, hier mal eine kleine Auswahl:
Mich würde ja mal interessieren, wie die Straßen zu der Zeit waren, und ob unsere heutigen Autos diese Straßen auch noch schaffen würden.
Ein Schlittenhundeschlitten ohne Schlittenhunde.
Das sind mal coole Handschuhe. Komplett Originalwolf, bis auf Inneres und Augen.
Wenn ich das recht in Erinnerung habe, wurden hiermit die ersten Exemplare des Daily Newsminer gedruckt. Allerdings ist das nur eine Vermutung. Tatsache ist, dass der Fairbanks Daily News-Miner seit 1903 durchgängig herausgegeben wurde, länger als jede andere US-amerikanische Tageszeitung.
Eine Waage. Das Bild entfaltet seine volle Kuriosität beim Heranzoomen an den unteren der beiden Zettel, unterhalb des “Keep Off”.
Mmh, sexy lingerie, homemade in the early 1900s. Schatz, was meinst du, soll ich mir sowas auch mal zulegen?
Bevor ich – mal wieder – mit einem Sonnenuntergang abschließe, noch ein paar Fotos von Downtown Fairbanks, die ich damals nicht mit eingeschlossen habe, aber jetzt ganz interessant finde.
Die George C. Thomas Library von 1909, steht unter einer Art Denkmalschutz (“has been designated a National Historic Landmark”).
1906 als Einstöcker gebaut, später hinten und oben ergänzt. Ein gewisser Herr Harding hat von dem Balkon 1923 eine Rede an die Fairbankser gehalten. Herr Harding war zu der Zeit Präsident der US of A. Das Gebäude steht auf Grund, der mal zu Barnettes Handelsposten gehörte.
Ursprünglich als Badeanstalt 1907 gebaut, heute ein sehr skuriller Antiquitätenladen. Falls sich jemand die Karte des Tourist Visitor Centers angeschaut hat: dieses Gebäude ist Nr. 12.
Oh Mann. Und ich fahre seit Jahren durch das Nadelöhr in Jena, von anderen Dauerbaustellen ganz zu schweigen.
Frankfurt ist laut dieser Säule 4400 Meilen /7000 Kilometer entfernt. Die russische Partnerstadt Yakutsk ist etwa 2500 Flugmeilen entfernt, New York dagegen 4500 (!). Überhaupt hat Alaska noch mehr Verbindungen mit Russland als den Fellhandel im 18./19. Jahrhundert, dazu gleich nochmal mehr.
DAS Postkartenmotiv schlechthin, die Statue auf dem Golden Heart Plaza, die an die ersten Siedler erinnern soll, umgeben von Informationstafeln zu den verschiedensten Themen: über die Universität, über die Pipeline, über den Alaska Highway, Ureinwohner, Verkehrsgeschichte…
Golden Heart Plaza, Blick nach Nordwesten (die Kirche ist die oben erwähnte katholische Kirche am anderen Flussufer)…
… und Blick nach Süden. Fairbanks’ Minenstadtcharme.
Ich habe soeben das Eismuseum gefunden. War an dem Tag aber mit Sicherheit eh geschlossen, und von einem Besuch wurde mir abgeraten, weil die Skulpturen nicht mal annähernd an die echten Ice Alaska-Skulpturen herankommen. Jedes Jahr im Spätwinter findet die Eisweltschnittmeisterschaft in Fairbanks statt, bei der, nunja, Skulpturen aus Eis geschnitten werden. Ich bin also mal wieder zur falschen Zeit am richtigen Ort
Neben Fichten und Birken gibt es hier noch diese Bäumchen. Nicht sonderlich häufig, dafür umso auffälliger: Während Baumrinde meist langweilig grau und rau ist, ist dieses Bäumchen mit einem glänzenden, kupfrigen Mantel umhüllt, der weithin leuchtet. Leider versagen hier meine ohnehin nicht gerade üppigen botanischen Kenntnisse – hat jemand eine Ahnung, was das für ein Baum sein könnte? Biologen geben ja gerne einleuchtende Namen, aber eine Kupferbuche sieht komplett anders aus.
Jetzt zur alaskisch-russischen Freundschaft. Bevor die Beziehungen sprichwörtlich erkaltet sind und vor der Erfindung von Langstreckenflügen wurde Alaska – zu dem Zeitpunkt noch inoffizielle Kolonie – als Zwischenlandeplatz für US Flugstreitkräfte im zweiten Weltkrieg genutzt, auf dem Weg an die Ostfront westlich von Alaska.
Ich weiß natürlich nicht, inwieweit der Beitrag der Alaska-Sibirien-Route kriegsentscheidend war. Aber jetzt hab ich endlich mal etwas über den Zweiten Weltkrieg gelernt, was nicht schon hundert Mal in der Schule durchgekaut wurde. Zusammen mit der Aleutendeportation natürlich, aber die kam ja erst eine Woche später.
Der Einfluss des US Militärs ist noch heute, lange nach offiziellem Ende des Kalten Krieges, spürbar. Allein um Fairbanks gibt es das Ladd Army Field, die Eielson AirForce Base (“hier anhalten verboten”), die Funkstation auf Murphy Dome natürlich und die Panzer die nett lächelnd an der Einfahrt zu Fort Greely stehen auf dem Weg zum Donnelly Dome, und auf dem Weg aus Fairbanks raus habe ich zuerst die Abbiegung auf den Richardson Highway verpasst und stand plötzlich for den Pforten des Forts Wainwright. Aber angeblich überlegt die US Regierung immer mal wieder, ob sie nicht doch eine der Stationen schließen sollte. Das allerdings würde nicht nur einen herben wirtschaftlichen Verlust für die Region bedeuten, sondern Fairbanks würde wohl auch einen großen Teil seiner Einwohner verlieren. Auf dem Weg hierher, im Flugzeug von Seattle, wurde die Landung in etwa so angekündigt: “[...] and to all the brave soldiers returning home from Afghanistan, we thank you for your courage and want you to know we appreciate your service for our country.” Dass das in dem fast leeren Flugzeug etwas makaber klang, ist mir in dem Moment gar nicht aufgefallen, ich war zu beschäftigt meine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle zu bekommen, bevor das Licht anging.
Cushman Bridge über den Chena River, flankiert von den Flaggen aller Bundesstaaten (“juchhu, wir gehören auch endlich dazu!”).
Eins der wohl berühmtesten Restaurants hier in der Gegend, zumindest weiß jeder sofort, wovon ich rede, wenn ich sage, dass ich in der Nähe wohne: Sam’s Sourdough. Deren Spezialität sind Sourdough pancakes, vorsichtshalber habe ich einen in sourdough und einen mit buttermilk bestellt. Nach dem Essen wusste ich wieder, warum ich noch nie eine ganze Portion geschafft habe, obwohl sie rein mengenmäßig eigentlich zu schaffen sein müsste; und ich habe gelernt, dass Sauerteig nicht mein Geschmack ist, genausowenig wie gesalzene Butter.
Sourdough ist übrigens ein Wortspiel; a sourdough ist auch ein erfahrener Goldsucher.
So, jetzt aber endlich zum Sonnenuntergangsbild, sonst komme ich heute nicht mehr ins Bett. War da nicht was mit zeitiger ins Bett gehen gewesen…?
4./5. November 2011, Arctic Circle
7. November 2011
Schaut man bei Wikipedia unter dem Titel Polarkreis, findet man dazu folgende Aussage:
Polarkreise nennt man die [...] Breitenkreise, auf denen die Sonne an den Tagen der Sonnenwende gerade nicht mehr auf- bzw. untergeht. Sie haben vom Nord- beziehungsweise Südpol denselben Abstand wie die Wendekreise vom Äquator. [...] Im Jahr 2011 liegen die Polarkreise auf etwa 66° 33′ 44′′ nördlicher bzw. südlicher Breite.
Fairbanks liegt auf 64° 50′ N, ist also etwa 200 km Luftlinie vom Nordpolarkreis entfernt. Der Polarkreis ist natürlich keine Sehenswürdigkeit in dem Sinne, denn auf dem Polarkreis gibt es nichts zu sehen. Außer vielleicht einem Schild, das die Lage des Kreises markiert.
Jetzt könnte ich den Blogeintrag eigentlich schon wieder beenden, denn dieses Foto war das geografische Ziel meines Ausfluges am Freitag. Ich bin Freitag Nachmittag um 2 mit einem kommerziellen Anbieter zum Polarkreis gefahren, habe den “Mighty Yukon” zweimal überquert und bin in den frühen Morgenstunden des Samstags wieder zu Hause eingetroffen. Unterwegs sind wir noch an einigen netten Plätzen zum Auroragucken vorbeigekommen.
Wie gesagt, das geografische Ziel. Das eigentlich Erzählenswerte war aber etwas ganz anderes. Mal sehen, ob ich das einigermaßen geordnet auf den Bildschirm bekomme.
Die Tour begann, als ich 15 min vor vereinbarter Zeit an meiner Haustür abgeholt wurde. Untypisch für Amerikaner? Richtig, der Touranbieter Ralf stammt nämlich aus Deutschland. Im Auto saßen schon Dennis, Alaskanese, und Emmitt, ebenfalls Eingebürtiger. Beide hatten wohl gerade ihren Arbeitsvertrag bei Ralf unterschrieben und sollten auf dieser Tour eingewiesen werden. Gut für uns restliche Mitfahrer, so hatten wir drei Führer statt einem. Dieser Rest bestand dann aus mir, Brandon und “Stave”, William “mi Engleezh iss very pour” und Wolken. Wirklich, unser Wetter war kolossal schlecht, auf der Rückfahrt meinte Ralf noch zu Dennis, dass sie wohl die Tour für morgen absagen oder zumindest umbuchen müssten, weil sie wohl nicht fahren könnten. Wir hatten nicht nur tiefhängende Wolken die ganze Zeit, sondern auch Schneefall in unterschiedlicher Stärke. War natürlich nix mit Aussicht, geschweige denn Polarlichtern. Auf der anderen Seite ging die Tour ja ohnehin erst um 2 los, und bis zum Sonnenuntergang waren es nur etwas über drei Stunden. Und bis dahin kommt man zwar weit, aber nicht nennenswert weit. Soll heißen, wenn man was sehen will, sollte man lieber im Sommer fahren.
Aber so schlimm war das gar nicht, denn Ralf war gesprächig und hatte vor allem viel Gesprächsstoff zu bieten. Bis zur Informationstafel über die Transalaskan Pipeline hatten wir schon erfahren, dass Ralf einige Jahre lang im Sommer in den Northwestern Territories (Canada) getourt ist und im Winter in Deutschland gearbeitet hat, bevor er sich endgültig für den Norden entschieden hat. Dann hat er acht Jahre lang in “the bush” gelebt, und seit acht Jahren wohnt er in Fairbanks. Wenn Alasker “the bush” sagen, meinen sie eine einfache “log cabin” in der Wildnis. Dort wo es weder Elektrizität gibt, noch Straßenzugang. Ralf meinte, mit dem Motorboot brauchte er auf dem Chatanika etwa 3 Stunden vom Elliot Highway aus. Mit dem Kanu etwa 3 Tage. Der Tag in der Wildnis besteht meist aus Jagen, Holzhacken, oder (im Winter) Wasser holen. Zum Einkaufen ging er nach Fairbanks, möglichst früh aufstehen und loslaufen, etwa 15 km, um möglichst ohne Übernachtung wieder zur Hütte zu kommen. Wobei man sich das nicht als großen, aufregenden Sonntagsausflug vorstellen darf, sondern eher als widerwillig in Kauf genommenes, notwendiges Übel. Die meisten Bushler sind froh, allein draußen zu sein, die wollen die Stadt gar nicht. Und Dennis, der mit an der Alaska Pipeline gebaut hat (also in den Siebzigern), meinte, dass ein Besuch in Fairbanks nach Monaten auf der Baustelle – die zu 98% fernab jeglicher Ortschaft lag – sich anfühlte, wie ein Besuch in einer Großstadt, wie New York. “Woah, so viele Autos, und so viele Leute, die herumlaufen. Da weiß man ja gar nicht, wohin man zuerst schauen soll.”
Elch jagen und ausweiden gehört zur Normalität, genau wie das Fischen und Wasser holen. Im Winter ging Ralf (nicht nur er, aber er hat es erzählt) mit Axt und Eimer auf den Fluss, manchmal musste er sich 1 m tief vorarbeiten, bis er an Wasser herankam. Mit einigen Tricks kann man verhindern, dass das Loch sofort wieder zu friert, und beim nächsten Mal Wasserholen einige Tage später muss man dann nicht mehr ganz so hart arbeiten. Wobei hart arbeiten ohnehin relativ ist – bei -40°F ist man schon nach vier Stunden (etwa so lange hat man im Winter Tageslicht) etwa so K.O. wie nach 12 Stunden im Sommer.
Für Interessierte haben Ralf und Dennis die Kolumne der Collins-Schwestern im Daily Newsminer empfohlen, die seit Jahrzehnten im “Busch” leben und über ihren Alltag schreiben. Stilistisch nicht gerade anspruchsvoll, aber die beiden haben eine Menge zu erzählen.
Ralf hat mich auch über die Bedeutung eines der Ausstellungsstücke im UAF Museum aufgeklärt: eines “Outhouses”. Die “bush cabins” haben in der Regel nur einen großen Raum, vielleicht noch ein zweites Stockwerk. In den allermeisten Fällen ist die Toilette außerhalb. Sie hat zwar Wände und ein Dach, ist aber so gebaut, dass man rausgucken kann. Und wenn man nachts, oder zumindest im Dunkeln auf dem Klo sitzt und sein Geschäft verrichtet, kommt es häufig vor, dass man Polarlichter sieht. Was natürlich dazu führt, dass viele dort mehr Zeit verbringen als die meisten Stadtleute auf ihren Porzellanschüsseln. Und weil es dort so schön ist, haben viele Leute einen “double holer”, einen Zweisitzer quasi. Dann kann man beim Polarlichtergucken sich nämlich noch mit seiner Frau/seinem Gast/wem auch immer unterhalten. In gewisser Weise ist das Outhouse für Alasker also so etwas wie das Wohnzimmer für Europäer. Wobei der Vergleich zwischen Fernseher und Polarlichtern stark hinkt. Wohl so manche Ex-Bushler, die nun in Fairbanks leben, vermissen ihr Outhouse.
Ein besonders hübsch verziertes Exemplar eines Outhouses, im UAF Museum of the North ausgestellt.
Ich hatte oben schon die Pipeline erwähnt. Das Öl, und damit die Pipeline, macht einen großen Teil der alaskischen Wirtschaft aus. Antonius meinte mal, dass die Haupteinnahmequellen Alaskas nach den Zuschüssen durch den Bund der Tourismus und das Öl sind (in der Reihenfolge). Warum gibt es diese Pipeline überhaupt? Sie war nicht gerade billig… auch wenn sie sich angeblich schon nach einem Jahr amortisiert hat, und das bei den damaligen Ölpreisen. Bevor sie gebaut werden konnte, mussten eine Menge ingenieurtechnische Fragen geklärt werden. Zum Beispiel, wie man verhindert, dass der Permafrostboden auftaut, wenn in der Pipeline 60°C-heißes Öl fließt. Oder, wie man verhindert, dass die Pipeline zerreißt, wenn sich die Erde bei einem Erdbeben verschiebt. Erdbeben sind in Alaska nicht gerade selten, daher war die Sorge begründet. Das letzte größere Erdbeben war 2002, das großen Schaden in Interior Alaska anrichtete, und das 1964-Erdbeben war zu seinem Auftreten das zweitgrößte jemals aufgezeichnete und verursachte in Kombination mit Tsunamis immensen Schaden an etlichen Küstenstädten Alaskas. Wenn sich die Erde während eines solchen Erdbebens verschiebt, reißt das leicht mal eben so ein Stahlröhrchen auseinander. Das Inland Alaskas hat darüber hinaus Temperaturschwankungen von +90°F bis -60°F, im Sommer und Winter extremer als die Küsten; außerdem ist der Winter im Norden länger als im Süden.
Warum also den Aufwand betreiben und alle diese Probleme lösen? Ganz einfach, weil die gefundenen Ölfelder an der Nordküste Alaskas liegen, die an den Arctic Ocean/das Nordpolarmeer angrenzt. Der Hafen in Prudhoe Bay ist zwar für einige Wochen im Sommer eisfrei, aber das reicht nicht, um das Öl abzutransportieren. Also suchte man den nördlichsten eisfreien Hafen der USA – Valdez – und baute dorthin die Pipeline, etwa 1280 km.
Nun zur Beantwortung der oben genannten Probleme: Da wo der Boden Permafrostboden ist, verläuft die Pipeline überirdisch. Ob der Boden dauerfrostig ist, kann man übrigens meist an der Höhe der Bäume feststellen. Aber zum Permafrost komme ich später nochmal. Die Verschiebungen durch Erdbewegungen und Temperaturunterschiede können durch die Stützen der Pipeline ausgeglichen werden, das Rohr ist beweglich auf dem Querbalken gelagert. Außerdem verläuft die Pipeline in einem charakteristischen Zickzack-Muster. Die Stützden der Pipeline können im Sommer keine Wärme in den Boden leiten, denn sie sind im Inneren hohl und mit Ammoniak gefüllt. Der verdampft in Bodenhöhe im Inneren, entzieht dort also Wärme, und kondensiert dann an den Wärmetauschern, also im Inneren dieser Doppelstangen-Gebilde auf den Pfeilern im Foto. Dieses Kühlsystem funktioniert bis weit unter 0°C; für seine Funktionsfähigkeit spricht, dass die Stützen nicht schon längst im Morast versunken sind. Insgesamt elf Pumpstationen sorgen dafür, dass das Öl über die Berge kommt, und warm bleibt: so fließt es besser. Außerdem werden noch Plastikzylinder (“pigs”) durch die Röhre geschickt, die sich mit dem Öl durch die Pipeline bewegen und etwaige Ablagerungen von den Innenwänden schaben. Oh, und man kann die Pipeline auch nicht einfach mit einem Gewehr durchlöchern, da muss man schon mit schwereren Geschützen auffahren oder betrunken sein und genau eine der Schweißnähte treffen. Beide “Angriffe” wurden bestraft… Wild kann problemlos unter den überirdischen Anlagen durchlaufen, und angeblich gab es bisher keine nennenswerten Unfälle auf der Strecke der Pipeline. Die immerhin schon 34 Jahre alt ist und nur für 25 Jahre konzipiert war. Es gab allerdings diverse Lecks an den Zulieferpipelines in Prudhoe Bay, das größte, weil BP die Korrosion unterschätzte und eine der Röhren einfach durchrostete. Was mit regelmäßigen Ultraschallkontrollen vorher nicht detektierbar war…
Am Visitor Center der Transalaskan Pipeline, unser erster Stop auf der Tour.
Eins der Schweinchen, die die Pipeline sauber halten, in einem Stück Pipeline.
Das ist Ralf. In der Mitte. Links steht Dennis und verdeckt William, rechts Brandon und Steve.
Vielleicht ein paar Worte zu meinen Mitfahrern. Ralf habe ich ja schon vorgestellt. Dennis stammt aus Alaska, hat u.a. die Pipeline mit aufgebaut, ein Weilchen in Prudhoe Bay (da wo die Ölfelder sind, an der Nordküste) gearbeitet, und war an verschiedenen Orten als Touristenführer unterwegs. Emmitt, der dritte Führer, ist Athabascan und stammt aus Ruby, einem kleinen Ort irgendwo westlich von Fairbanks. Sein Vater, Emmitt “Fox” Peters (ohne Jr.), war der dritte, der den Iditarod gewonnen hat. Iditarod? Etwas länger als der Yukon Quest, und angeblich etwas… einfacher ist das falsche Wort. Denn einfach ist etwas anderes, als über 1100 Meilen mit einem Hundeschlitten von Anchorage nach Nome (an der Westküste) zu fahren. Der erste Sieger brauchte 1973 noch etwas über 20 Tage für die Strecke, der “Fox” schaffte es in 14,5 Tagen und heute sind es knapp unter 9 Tagen. Die Zulassungsbedingungen zum Rennen sind hoch, man muss längere erfolgreich abgeschlossene Rennen nachweisen, und die Startgebühr liegt bei 4000 USD. Der Start in Anchorage ist eigentlich nur Schaulaufen, richtig los geht es einen Tag später etwas weiter nördlich. Das Rennen findet im März statt, die Temperaturen liegen üblicherweise tiiiiiief unter dem Gefrierpunkt (und tief hier heißt noch tiefer als -40°C), das Gelände ist unwegsam. Es gibt einige Checkpoints, zwei Zwangspausen von 8 Stunden an bestimmten Orten, einer davon der vorletzte Checkpoint und 90 km vor dem Ziel, und eine 24-h-Zwangspause an einem beliebigen Ort. Jedes Team muss allein und ohne Hilfe fahren, in Notfällen ist Hilfe aber Pflicht – und soll laut Regelwerk auch “nicht bestraft” werden, was immer das heißt. Die großen Hundeschlittenrennen sind so etwas wie der Versuch, die Hundeschlittentradition der Eingeborenen in Erinnerung zu behalten. Allerdings werden die Sieger heute nicht mehr von den Eingeborenen gestellt, sondern von den großen Dog Kennels, die hunderttausende Dollar investieren und die Rennhunde gezielt züchten. Ursprünglich kam die Idee des Iditarod vom “Great Race of Mercy”, als 1925 in Nome die Diphterie seuchte und das nächstgelegene Lager mit dem Gegenmittel in Anchorage lag – fünfeinhalb Tage dauerte dieser Riesenstaffellauf, in dem zwanzig Fahrer und über 100 Hunde das Paket die 674 Meilen von Nenana bis Nome transportierten. Von Anchorage bis Nenana fuhr ein Zug.
Jetzt bin ich abgeschweift, zurück zu Emmitt. Der ist also mit diesem in Alaska berühmten Dog Musher aufgewachsen und hat sein erstes Rennen mit zwei Jahren gewonnen. Was eine Art Mutter-und-Kind-Rennen war, an das er sich überhaupt nicht erinnern kann. Er führt im Sommer Touren durch Denali State Park, und im Winter führt er manchmal Schlittenhundetouren. Und mit ein wenig Glück reicht der Schneefall bis zum nächsten Wochenende, dass ich auch mal auf einen Hundeschlitten kann. Schlittenhunde? Hundeschlitten? Müsste das nicht eher Schlittenhundeschlitten heißen? Egal, drückt mir die Daumen
Die anderen Mitfahrer waren Brandon, Steve und William. Brandon und Steve kommen aus Australien. Haben die letzten Wochen die USA bereist, sind für einen Tag in Fairbanks und fliegen morgen weiter nach Kanada und ein paar Tage später zurück nach Australien. Beide haben zum ersten Mal in ihrem Leben Schnee gesehen, haben sich aber enttäuschend erwachsen verhalten. Hab aber herausgefunden, dass sich der Schnee entgegen meiner Vermutung ganz hervorragend für eine Schneeschlacht eignet, mit dem Pulver kann man den Gegner mit einem einzigen gezielten Treffer von oben bis unten einweißen, was mit einem echten Schneeball nicht geht. Beide haben einen australischen Einschlag in ihrem Englisch, aber Steve hat den deutlich stärkeren. Deshalb auch “Stave” und nicht Steve. “I’m cumming, I’m on my wai, I’m cumming.” Beide arbeiten als Elektroingenieure, bzw. arbeiteten. Ob ich aber die Einladung, nach Australien zu kommen, annehmen werde, bezweifle ich. “Sharks are actually more dangerous in the inland canals, where we live, than in the open sea.” Von den Geschichten mit Schlangen und Skorpionen ganz zu schweigen. Bei den Dugongs dagegen waren Ralf und ich felsenfest davon überzeugt, dass die beiden fantasieren, aber diese eigenarten Kuh-Wale gibt es tatsächlich. Genau wie die Quokkas, die wiederum wären nun eher ein Grund, mal einen Abstecher nach Australien zu machen. Das ist beeindruckenderweise nur vier Zeitzonen von hier entfernt. Verkehrte Welt.
Dann gab es da noch William aus Shanghai, seinen echten Namen hat er nicht verraten. Wir haben ihn auch nicht gefragt, William war nicht gerade gesprächig. Während wir anderen sechs uns munter unterhalten haben, hat William auf seinem Computer Film geguckt. Und gespielt. Und Musik gehört. Und wieder gespielt. Selbst am Polarkreis saß er nach einer Minute wieder im Auto und hat sich mit seinem Computer beschäftigt. In Livengood (kommt später noch) ist er nur auf Drängen von Emmitt ausgestiegen. Mich würde mal interessieren, was er außer den drei Fotos vom Polarkreis von dieser Reise mitgenommen hat. Nichts von den Erzählungen jedenfalls, denn die Kopfhörer hatte er die ganze Zeit auf. Und auch wenn er in Livengood mit gaaaaanz leicht ungeduldigem Ton gefragt hat, warum wir hier warten (kurz bevor wir losfuhren, ich komm ja gleich dazu) – er hat sich später noch mit Dennis unterhalten, und da war sein Englisch eigentlich ganz passabel. Besser als das des Durchschnittschinesen.
Ja, und dann gab’s noch mich. Nachdem ich mich bei der Vorstellrunde als Expertin für Polarlichter geoutet hatte, durfte ich dann später am Abend noch erklären, wie die zustande kommen. Ralf hatte die zwar auch schon erklärt, aber ich sollte dann nochmal meine “wissenschaftliche” Version vom Stapel lassen. Hab ich dann auch gemacht, dabei ist mir aufgegangen, dass ich zwar dauernd das Gefühl habe nichts zu verstehen, aber auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Alles egal, die fünf meinten begeistert, sie hätten mich verstanden, gute Tat erledigt.
Jetzt aber zu Livengood. Die ganze Fahrt zum Arctic Circle dauerte etwas über sieben Stunden. Eine Richtung. Alles in allem sollten wir etwa gegen 4 Uhr morgens wieder zurück sein. Wir fuhren von Fairbanks aus den Elliot Highway nach Norden – wenn man auf Google Maps schaut, ist das das gelbe Schwänzchen, das nach Norden führt und dann irgendwo in der Pampa endet. Tatsächlich führt die Straße noch etwas weiter bis Manley Hot Springs. Aber ungefähr dort, wo die Straße bei Google Maps aufhört, zweigt der Dalton Highway, die Nummer 11 der Alaska Highways, ab. Und der führt geradewegs nach Norden, bis nach Prudhoe Bay. Jetzt weiß ich auch, warum man dort mit einem Mietwagen nicht fahren darf. Die Straße (not paved, Schotterpiste) selbst ist gar nicht mal das Problem. Im Winter fährt es sich dort etwas holpriger als auf den geteerten Straßen, aber das soll wohl harmlos im Vergleich zum Sommer sein. Die Straße wird auch befahrbar gehalten, denn sie ist die Hauptlebenslinie für die etwa 2500 Arbeiter in Prudhoe Bay, der überwiegende Großteil der Fahrzeuge auf dieser Strecke sind Trucks. Gefährliche Stellen gibt es genug, aber die sind auch ausgewiesen.
Nein, das Hauptproblem auf dieser Strecke ist ihre Abgeschiedenheit, und die daraus folgenden Konsequenzen. Kurz nachdem man den Elliot Highway verlässt, steht ein Schild am Straßenrand “Next Services 118 miles”. Soll heißen, die nächste Tankstelle kommt in 180 km (!). Die wird allerdings nur im Sommer betrieben, die nächste kommt nochmal 130 Meilen später, in Coldfoot. Wenigstens ist Stau kein Problem, so dass man seinen Benzinverbrauch eigentlich gut unter Kontrolle hat.
Zweites Problem sind Unfälle. Es gibt durchaus Stellen, an denen sich auch erfahrene Fahrer überschätzen können. Das Gelände ist sehr hügelig, stellenweise geht es meilenweit bergab. Trucks kündigen sich vor allem nachts schon von Weitem mit ihren Monsterscheinwerfern an, aber gerade bei Schnee kann doch mal einer unerwartet um die Kurve kommen. Und in der Schneeschleppe dahinter ist absolut nichts zu erkennen. Trucks haben auf dem Dalton Vorfahrt, das einzig Sinnvolle, was man also machen kann, ist so schnell wie möglich anzuhalten. Ralf meinte, er fährt nie schneller als 40 mph, auch wenn theoretisch 65 erlaubt sind.
Eine unglaubliche Erleichterung sind die kleinen “CVs”, die jeder Fahrer auf dem Dalton dabei haben sollte: WalkieTalkies, mit einer Reichweite von etwa 2-3 Meilen, mit denen man sich mit den anderen Fahrern auf der Strecke in Verbindung setzen kann. So kann man zum Beispiel fragen, ob man vorbei kann, wenn ein Truck am Straßenrand steht (heißt, etwa einen halben Meter in der Spur versetzt, Straßenrand gibt’s eigentlich nicht), man kann vorwarnen, wenn man an eine kritische Stelle kommt (“Beaver Slide, heading North”), oder vor einem Hang gewarnt werden, dass da gleich noch ein Lkw kommt.
Ich hatte ja schon die Wetterbedingungen erwähnt, und den anhaltenden Schneefall. Wir haben einige Trucks am “Straßenrand” gesehen, deren Fahrer gerade dabei waren, Schneeketten aufzuziehen. Wenn so ein Truck vor dir den Hang runtergerutscht kommt, den du gerade hoch willst… Es gibt Erlebnisse, die muss ich nicht haben. Und der Dalton führt wirklich geradewegs über alle Berghänge, keine Umwege, nur um die Steigung niedrig zu halten. Wer hier langfährt, will schließlich noch über den Brooks Range, und wer hier nicht drüber kommt, der schafft den Brooks Range erst recht nicht.
Dazu kommen eben noch Schneefall, Schneewehen und die gefürchteten Whiteouts. Am Arctic Circle drängelte Ralf irgendwann, dass er über Finger Mountain sein will, bevor dort die hohen snow drifts entstehen, die er lieber vermeiden würde. Das sah schon auf der Hinfahrt nicht gut aus. Bei Whiteouts dann kommt so viel Schnee von oben und von der Seite, dass man nicht mal bis zum Ende der Motorhaube sehen kann. An besonders kritischen Stellen stehen am Dalton reflektierende Begrenzungspfosten, an denen man sich vorsichtig vorwärts tasten kann.
Aber das wirklich Gefährliche sind Unfälle oder Pannen. Egal wo, wenn man auf dem Dalton einen Unfall hat, muss man mit sehr langen Wartezeiten rechnen. Eingeklemmt im Auto und die Böschung heruntergerutscht? Zwölf Stunden Wartezeit, bis Hilfe kommt, sind keine Seltenheit, selbst wenn ein Truck vorbeikommt, der seine Zentrale anrufen kann. Handyempfang gibt es auf dem Dalton schließlich nicht. Im Zweifelsfall ist die nächste Maintenance Station auch mehrere hundert Meilen entfernt oder gerade unbesetzt. Man muss nicht mal verletzt sein, um in ernsthafte Gefahr zu kommen, wenn das Auto nicht mehr läuft. Es gibt zwar auch Geschichten, in denen Leute nur eine halbe Stunde warten mussten, weil eine Tow Maschine in der Nähe war, weil zuvor auf der Strecke schon etliche Unfälle passiert waren. Aber es gilt auch hier, was für Expeditionen selbstverständlich ist: Lieber etwas mehr an Essen und wärmer an Kleidung dabei als man unbedingt zu brauchen glaubt.
Ich bin schon wieder abgeschweift.
Zurück zu Livengood. Oder überhaupt erstmal hin. Von den hinteren Insassen unbemerkt sprang kurz nach dem Yukon die Tankleuchte an. Ralf, der die Strecke schon zur Genüge gefahren ist, meinte, normalerweise hat er noch knapp einen Viertel Tank übrig, wenn er in Fairbanks ankommt. Der Tank war voll, als wir gestartet sind. Noch am Finger Mountain dachte er, dass es etwas knapp werden könnte, kurz darauf fiel der Tankstand deutlich schneller als er sollte. Ich erwähnte ja bereits das “118 miles”-Schild.
In Livengood (von Norden her kurz nach eben jenem Schild) gibt es eine Maintenance Station, die hell erleuchtet war. So oder so hätten wir dort wohl angehalten. Lieber dort als am Straßenrand stehen. Die Station war zwar hell erleuchtet, aber trotzdem unbemannt. Und die Zapfsäule abgeschlossen. Es war Freitag Nacht, etwa 2 Uhr und noch über 80 Meilen bis Fairbanks. Aber – die Garagenhalle für die Straßenräummaschinen war unabgeschlossen. Von dort konnte Ralf einen Kollegen anrufen, der dann mit zwei 5-Gallonen-Kanistern nach Livengood rausgefahren ist. Wie gesagt, über 80 Meilen bei Schneefall – kurz vor 5 konnten wir von Livengood starten, kurz vor halb 8 war ich endlich zu Hause. Die beiden Australier sind gleich weiter zum Flughafen gefahren, insofern kann ich mich nicht beschweren; ich habe gestern und heute bis um 1 geschlafen.
Alles in allem also ein eher glimpfliches Abenteuer, das aber die potentielle Gefährlichkeit solcher eigentlich harmlosen Situationen auf dem Dalton Highway zeigt: wenn wir es nicht bis zu der Livengood Station geschafft hätten, hätten wir wohl deutlich länger warten müssen; das zuvor warme Auto war innerhalb einer Viertelstunde empfindlich abgekühlt.
Glück im Unglück: in der Halle war es warm. Wir vermuten, dass alle Lichter und Lüfter an waren, weil die Generatoren eine Grundlast brauchen.
Ich wollte noch ein paar Worte zum Permafrostboden verlieren. Denn der ist für Alaska ungefähr so wichtig wie die Berge für die Alpen. Permafrostboden heißt, dass der Boden dauerhaft gefroren ist. Was nicht heißt, dass er im Sommer nicht ein wenig auftauen könnte, aber das tut er nur an der Oberfläche. Ein paar Zentimeter, mehr nicht. Oder er reicht gar nicht erst bis an die Oberfläche, sondern beginnt erst in ein paar Metern Tiefe. Ich hatte irgendwo schon mal erwähnt, dass Zentralalaska sehr wenig Niederschläge hat. Wenn Alaska “normalen” Boden hätte, würde das wenige Wasser versickern und hier wäre Wüste. Aber Alaska hat den Permafrostboden, der verhindert, dass das Wasser abfließt. Und so hält der Boden nicht nur das Regenwasser zurück, sondern auch einen Teil des Schmelzwassers. Und so können hier Bäume wachsen. Sicher, wenn der Permafrost bis an die Oberfläche reicht, wachsen die Bäume nicht so hoch. Aber ohne Permafrost – und damit ohne Wasser – “würde es zwei bis drei Jahre dauern”, dann sind die Bäume tot. Wobei sich ja die Klimatiker nicht einig sind, was passiert, wenn der Permafrostboden auftaut. Möglicherweise wird Alaska ja dann Monsunregion
Übrigens ist nicht ganz Alaska permafrostig: das variiert von Region zu Region, und hängt neben der Sonneneinstrahlung hauptsächlich vom Gestein ab, manches Gestein speichert Wärme und Wasser besser als anderes, und so kann es kommen, dass die Bäume innerhalb weniger Meter doppelt so groß sind wie ihre Nachbarn, wenn das Gestein im Boden variiert.
Was man hier sieht (wenn man die Reflexion in der Fensterscheibe ignoriert), ist die Pipeline, die sich den Berg hinaufwindet – und auf halber Höhe im Hang verschwindet. Ohne Wolken könnte man auch den sprunghaften Höhenanstieg der Bäume sehen. Da wo die Pipeline abtaucht, da wechselt der Boden von Permafrost (unten) zu “normalem” Boden (weiter oben am Hang).
Bei Touren mit Outdoor Freaks dürfen natürlich auch die “wild animal encounters” nicht fehlen. Sind Elche gefährlich? Von wegen nein. Männliche Elche mögen trotz ihres Geweihs nicht aggressiv sein, aber wehe, man kommt in die Nähe einer Kuh mit Kalb oder tritt, wenn auch unbewusst, zwischen die beiden. Dazu mal eine Horrorgeschichte: Auf den Campus der UAA, der University of Alaska Anchorage, hat sich vor etwa fünf Jahren eine Elchkuh verirrt, zusammen mit ihrem Kalb. Aus einem der Universitätsgebäude kommt ein Mann, sieht weder Kuh noch Kalb und will die Straße entlanglaufen. Er hat nichts gemacht, keins der beiden Tiere überhaupt bemerkt, und wollte einfach nur seines Weges gehen. Was auch immer der Elchkuh aufgestoßen ist – der Mann hat die Attacke nicht überlebt. Und Geschichten solcher Art gibt es viele, wenn auch meist ohne tödlichen Ausgang. Im Winter “verirren” sich viele Elche in die Städte um im Müll nach Nahrung zu suchen, im Sommer sind eher unachtsame Touristen die Opfer, die den süßen Elch da auf dem Weg fotografieren wollen. Angeblich gibt es mehr Elch-”Überfälle” als Zusammenstöße mit Bären. Was wohl hauptsächlich an ihrer größeren Zahl liegt. Im Jahr trifft es 5-10 Menschen – Alaskas Bevölkerung liegt bei 700 000. Das gibt mir also eine vernünftige Chance, die nächsten zwei Wochen hier noch zu überleben
Weniger gefährlich dagegen sind Bären. Wobei es auch da einige Horrorgeschichten gibt. Aber in den meisten Fällen haben die Leute mehr Respekt vor Bären als vor Elchen und tun daher das Richtige: aus dem Weg gehen. Auf meinen bisherigen Wanderungen habe ich dementsprechend auch das Richtige gemacht: Ich bin nicht gerade auf Samtpfoten durch den Wald gestapft, ich muss weithin zu hören gewesen sein. Selbst wenn ein Bär aus seinem Winterschlaf erwacht wäre, wäre er mir wohl schon aus dem Weg gegangen, bevor ich in seine Nähe gekommen wäre.
Was macht man, wenn man trotz Lärm plötzlich einem Bären gegenüber steht? Bären mögen Wanderwege, läuft sich einfacher. Wenn man dort also einen Bären sieht, geht man am besten selbst vom Weg und in großem Bogen um den Bären herum. Ohne dabei den Weg zu verlieren, die Gefahr sich zu verlaufen und nicht mehr zurück zu finden, ist in den allermeisten Fällen größer als die, die vom Bären ausgeht.
Und wenn der Bär folgt? Untypisch. Aber falls er es doch tut, langsam rückwärts gehen. Mit dem Bären sprechen. In die Hände klatschen. Ihm so klar machen, dass man nicht zu seiner typischen Beute gehört. Bloß nicht weglaufen, das weckt den Jagdinstinkt. Und der Bär ist deutlich schneller. Wenn man hat, etwas zurück lassen, um den Bären aufzuhalten. Aber auf keinen Fall Essen, das wird er fressen und sich mehr holen wollen.
Emmitt erzählte noch, dass ein Bekannter von ihm immer eine Weidenrute oder Peitsche dabei hat – Bären kennen das Geräusch nicht, und hätten daher schon mehrmals die Flucht ergriffen, wenn sie es gehört haben.
Und wenn er angreift? Noch unwahrscheinlicher. Aber dann ist es wichtig zu wissen, was man da für einen Bären vor sich hat. In Alaska gibt zwei Sorten: Schwarz- und Braunbären (aka Grizzleys). Schwarzbären sind kleiner, Braunbären haben einen kräftigeren, kantigen Schädel, längere Krallen… und eine Art Höcker auf der Schulter. Das ist wohl das einfachste Unterscheidungsmerkmal. Die Fellfarbe hilft nicht, die kann bei beiden Arten sehr stark variieren. Mit einem Schwarzbären kann man kämpfen. Man muss nicht mal gut sein, es kursieren viele Geschichten, in denen Schwarzbären mit einem Taschenmesser, in einem Fall sogar mit einem Stock vertrieben werden konnten. Bei Braunbären hat man damit keine Chance. Da hilft nur Totstellen. Hände in den Nacken, Knie ranziehen, still liegen. Lange still liegen. “After an hour you may dare to open one eye.” Wenn der Bär weg ist, kann man ganz langsam und leise versuchen abzuhauen. Diese Taktik wiederum würde aber bei einem Schwarzbären nicht funktionieren.
Warum? Schwarzbären fressen sofort, wenn sie etwas finden. Braunbären dagegen umkreisen es erst, stellen sicher, dass es tot ist und kommen dann Tage später zurück um zu fressen.
Oh, und wenn der Bär einen Menschen “angreift”, ist es meist nur ein Bluff um herauszufinden, ob der nun zu seiner Beute gehört oder nicht. Läuft der Mensch weg, ist das ein “ja”.
Dummerweise kam nach dieser Aussage die Geschichte, in der ein einsamer, aber erfahrener Wanderer in Nordalaska von einem Bären attackiert wurde. Der Bär täuschte auch einen Angriff vor, rannte auf den Wanderer zu. Der hatte zwar Bärenspray dabei (Bärenvertreibungsmittel), konnte es aber nicht schnell genug greifen und ließ sich zu Boden fallen. Der untypische Bär startete noch einen zweiten Angriff, rannte los. Diesmal biss er den Wanderer in den Oberschenkel, nur leicht, so als ob um zu testen, was das für ein Fleisch ist. Da hatte der endlich sein Spray vorgekramt und hat den Bären in die Flucht getrieben. Ein Bärenbiss ist alles andere als unbedenklich, aber glücklicherweise passierte das Ganze “nur” etwa zehn Meilen vom Dalton entfernt und der Wanderer schaffte es bis zum Highway, wurde dort von einem Trucker aufgesammelt und bis Prudhoe Bay gebracht, wo die Wunde etwa 20 Stunden nach dem Biss versorgt werden konnte. Das Ende der Geschichte? Heute zeigt der Wanderer bei passender Gelegenheit stolz seine Bisswunde.
Oh und noch etwas. Das oben Beschriebene funktioniert nur im Sommer. Wenn man einem Bären im Winter begegnet, ist der aus seinem Winterschlaf erwacht. Und wenn er aus seinem Winterschlaf erwacht ist, und auch noch aus seinem Bau rauskommt, muss er hungrig sein. Und hungrig ist gleichbedeutend mit aggressiv. Was macht man dann? Then your best bet is to shoot him.
Aber wie gesagt, ist alles sehr unwahrscheinlich. Die meisten Bären meiden uns.
In dem Zusammenhang hab ich die Führer auch gleich gefragt, welches Tier in der Gegend der Delta Junction anfängt, nachts zu heulen. Erst tippten sie auf Hunde, aber als ich ihnen den genaueren Ort sagte (Donnelly Dome; da war meilenweit nix zu sehen, wo Hunde hätten wohnen können), waren sich alle drei sofort einig, dass das nur Wölfe gewesen sein können. Aber Wölfe meiden Menschen in den meisten Fällen auch, es sei denn… (und jetzt kamen die Geschichten, wo (1) eine Joggerin nur eine Meile vor ihrer Haustür von Wölfen angefallen wurde und (2) verschiedene Wanderer ihre Begleithunde an Wölfe verloren haben.) Dennis meinte dann noch, dass er wahrscheinlich nie ohne seine Pistole allein in die Wildnis gehen würde.
Was noch seltener zu sehen ist als Bären, sind “Wolverines”. Dem Bild nach sehen die wie ein Verwandter des Bären aus, mit beeindruckenderen Krallen und Gebiss. Als ich im Wörterbuch nachgeschlagen hab, was denn ein wolverine nun ist, war ich erstaunt: bis dahin kannte ich den Vielfraß vor allem als Bezeichnung für Leute, die nicht satt zu kriegen sind. Aber der echte Vielfraß ist ein ziemlich furchtloser, kämpferischer Zeitgenosse, der auch kein Problem damit hat, Tiere anzugreifen, die deutlich größer sind als er. Meist eher Elche und Rentiere, wobei das schon eher ein Luxusessen für ihn ist. Seine typische Nahrung sind eher Schneehasen und Mäuse. Aber Emmitt hat erzählt, wie er als Elfjähriger mit seinem Vater beobachtet hat, wie ein Vielfraß einem Bären dessen Beute streitig gemacht hat – und gewonnen hat.
So. Meine Finger tun nicht weh, aber mein Handgelenk. Wenn mir hier etwas fehlt, dann meine Tastatur. Zum Abschluss daher jetzt noch ein Bild von den Bäumen am Straßenrand. Davon gab es mehr genug, aber in den windigeren Regionen weiter im Norden sahen die Bäume eher wie Stalagmiten aus, sehr märchenhaft; ich hoffe, man kann das auf dem Foto (bei Nacht aus dem fahrenden Auto heraus) erahnen.
30. Oktober 2011, UAF Trails
30. October 2011
Heute ging es auf die Ski- und Wanderpfade der UAF. Die haben nämlich ihr eigenes Waldstück kultiviert. Darin und daneben befinden sich verschiedene Forschungsstationen, neben der obligatorischen Satellitenmonsterschüssel auch der Botanische Garten. Wer hätte es gedacht, der botanische Garten ist im Winter geschlossen. Genauso wie die Eldorado Goldmine, so langsam macht das keinen Spaß im Herbstwinter hier zu sein. Wenigstens hat der Garten eine ganz nette interaktive Karte, auf der man sich ein wenig umsehen kann. In natura ist der Garten nicht mehr ganz so hübsch, dieser Eindruck kann aber auch an der Schneedecke liegen, die gerade dort… liegt. Das hintere Ende des botanischen Gartens liegt nämlich genau an dem Parkplatz, von dem aus ich in die UAF Trails eingestiegen bin.
Zur Orientierung hier eine kleine Karte – in der Mitte unten, direkt neben der “Ski hut” ist das Geophysical Institute, wo ich arbeite. Direkt darunter liegt der Parkplatz, von dem aus ich gestartet bin, und rechts knapp außerhalb des pdf wohne ich. Am Anfang bin ich den gestrichelten Linien bis zum T-Field gefolgt, danach hab ich keine Ahnung, wie ich eigentlich gelaufen bin. Ich habe mich aber sicher zurück gefunden An der exotischen Baumsammlung war ich auch, konnte aber keine exotischen Bäume ausmachen. Und wenn ich noch weiter nördlich gegangen wäre, hätte ich noch mal die Muskoxen besuchen können, ich bin aber nach Westen abgebogen. Alles in allem eine entspannte, lockere Wanderung durch mäßig hügeliges Terrain, durch bestenfalls knöcheltiefen Pulverschnee (jetzt weiß ich auch, warum ich hier keine Kinder draußen spielen sehe: mit dem Zeug kann man ja keinen vernünftigen Schneeball formen), und nach viereinhalb Stunden war ich wieder zu Hause.
Juchhu, wieder eine, nein zwei (!) Nebensonnen. Ohne Haloring, und auch nur kurz, keine Minute später waren Wolken vor der Sonne.
Die UAF hat nicht nur Wanderwege, sondern auch einen Rodelhang. Auf den bin ich schon mal abends gestoßen, als ich querfeldein über den Campus gelaufen bin. Auffällig war, dass alle Kinder lustige bunte Plastikschalen zum Rodeln hatten. Richtige Schlitten hab ich keine gesehen. Links hinten knapp außerhalb des Bildes ist das Museum of the North.
Die Hauptwege erinnern an meinen Stadtwald in Schweden. Die waren dort auch relativ groß und breit und beleuchtet, damit man auch im tiefsten Winter, wenn nach der Arbeit keine Sonne mehr scheint, dort (Ski) fahren kann. Hier allerdings wird streng zwischen Skiweg und Wanderweg getrennt, zwischen beiden ist sogar ein Zaun. Zum Wald hin ist nochmal Zaun, und so läuft man als Wanderer zwischen Gittern dahin. Sehr schön… Aber dieser Unfug hört später auf, und irgendwann war ich ohnehin auf kleineren Wegen unterwegs, wo die Trennung nicht mehr so strikt ist. Von diesen kleineren Wegen führten immer wieder kleinere Trampelpfade ab und in den Wald hinein. Aber ich wollte ja nicht schon wieder durch Unterholz stapfen, wenigstens einmal auf gepflegten Wegen bleiben…
Die Hauptwege sind ausgeschildert und benamt. Die Warnung vor Skifahrern bzw. langsamen Wanderern auf der Rückseite des Schildes macht insbesondere an den Abfahrten Sinn.
Zugefrorener See mit coolen Wolken. Die Pfade führen direkt über den See, der bis auf eine winzig kleine Anomalie am Ufer^^ dick zugefroren ist.
Ich habe versucht, den Skispuren so gut es geht auszuweichen. Mich nervt ja auch, wenn Fußgänger durch Loipen trampeln, die ich befahren will. Wobei es vermutlich nicht mal einen Unterschied gemacht hätte, bei dem Gepulvere kann man gar nichts festtreten.
Mich hat jemand gefragt, ob ich diese Landschaft eigentlich schön finde, wo selbst die Bäume aussehen, als sei ihnen kalt. Klare Antwort: Natürlich. Sind halt Tundrabäume, noch “echte, harte Männer” äh, Bäume, die noch um ihr Überleben kämpfen. Als ich vor ein paar Jahren aus der Staubwüste um Salamanca herum (übrigens der Geburtsort von El Lute ) in die üppig grünen Wälder in der Schweiz gekommen bin, fand ich diesen grünen Überfluss ziemlich abstoßend, das war schon fast ein Kulturschock, den ich da bekommen hab. Dabei war ich zuvor schon für zwei Monate in Zürich gewesen, ich wusste also, wohin ich komme. Trotzdem war es erstmal eine Erleichterung, zwei Wochen später an die umwindeten Felsen der Bretagne zu kommen… Ein chaotischer Sommer, damals, als ich noch jung war, und mich mit so komischen Typen herumgetrieben hab
Mich hat eher überrascht, mit Birken noch Laubbäume hier oben anzutreffen. Ich hatte nur Nadelbäume erwartet.
Oops. Wie bin ich denn hier hin gekommen? Ich wollte doch gar keinen Trampelpfaden folgen?! Ich muss wohl kurz nicht aufgepasst haben…
Haps!
Echte Männer essen keinen Honig, die kauen Bienen. Und echte Bäume trinken keine Eisenionen, die kauen Stahldraht!
Wird vermutlich langweilig, schon wieder ein Sonnenuntergang. Hier gibt es aber auch dauernd so hübsche! Daran könnte man sich glatt gewöhnen
29. Oktober 2011, Muskox Farm
30. October 2011
Nachdem ich am Donnerstag festgestellt hab, dass ja morgen schon Freitag ist, ich aber noch keinerlei Energie gesammelt hab um schon wieder auf große Fahrt zu gehen, habe ich mich für ein etwas ruhigeres Wochenende entschieden. Mit dem Fahrrad ließen sich ja noch ein paar kleinere Ausflüge unternehmen.
Mittlerweile halten wir die -10°C auch tagsüber, und diese Nacht sollen wir angeblich die 0°F-Grenze knacken, also -18°C. Dementsprechend warm hab ich mich angezogen und etwas in die Trickkiste gegriffen, um den Fahrtwind auf dem Fahrrad im Gesicht zu überstehen. Erstaunlich, was so eine dünne Schicht Vaseline bewirkt. Meine Hände sind warm geblieben, dafür waren meine Füße am Ende des Tages trotz -40°-Stiefel kalt. Genauso wie meine Oberschenkel und mein Hintern, ich wette, ich hätte Eiswürfel damit herstellen können. Falls jemand ein gutes Rezept dagegen hat, immer her damit.
Nun aber zum Ausflug. Die Moschusochsenfarm (Muskox klingt viel cooler, ab sofort kehr ich zur Muskox Farm zurück) ist mit dem Fahrrad etwa eine halbe Stunde von mir entfernt und heißt eigentlich Robert G. White Large Animal Research Station. Neben Moschusochsen werden dort noch Rentiere gehalten und erforscht. Wie so vieles hier ist die Farm ab September geschlossen. Aber man darf gern kommen und die Tiere vom Parkplatz aus betrachten. Ein Fernglas ist empfehlenswert. – Das mit dem Parkplatz haben tatsächlich mehrere Leute gemacht, während ich da war. Sind auf den Parkplatz gefahren, standen dann dort für vielleicht zehn Minuten mit laufendem Motor, und sind wieder gefahren.
Schild an der Einfahrt zum Parkplatz.
Blick über die Farm. Die schwarzen Punkte, die sich hinten am Hang sonnen, sind Muskoxen, Moschusochsen. Einmal um den Komplex gelaufen, und ich bin noch ein wenig näher an die Tiere herangekommen. Zum Glück, denn ohne Fernglas konnte man in der Entfernung wirklich nix erkennen.
Meine schlaue Kamera ließ sich partout nicht überreden, das Gitter zu ignorieren und lieber auf die Rentiere da zu fokussieren. Und näher rangehen und durch die Maschen fotografieren ging auch nicht – ich stehe nämlich schon direkt an einem Maschendrahtzaun zwei Meter vor dem fotografierten und schaue durch die Maschen. Der Pfad zwischen den Zäunen ist vermutlich für die Sommerbesucher, er verläuft auch einmal quer durch die Farm und direkt an den sich sonnenden Ochsen vorbei. Nun ja, Rentiere sind auch nicht so spannend, die kenn ich schon aus verschiedenen schwedischen Zoos. Wobei die hier etwas anders aussehen, etwas größer und dunkler, und ihre Schnauze ist… rehiger. Vielleicht ist es auch nur Einbildung; die alaskischen Rentiere wurden schließlich irgendwann in der Vergangenheit mal aus Skandinavien als Lasttiere eingeführt. Übrigens gibt es doch einen Unterschied zwischen Reindeers und Caribou: Reindeers sind die domestizierte Variante, Caribou sind die wilden Ureinwohner. Die Schweden kennen diese Unterscheidung nicht, für die sind alles Rentiere. Auffällig ist, dass alle Vertreter Geweihe tragen, auch die Weibchen.
Die Hauptattraktion. Ein Moschusochse, juchhu. Sehr interessante Viecher. Können mit Ihrem Winterunterfell (Qiviut) Temperaturen bis -40°C aushalten, auch bei Wind. Fressen sich im Sommer dick und rund, und kommen dann mit ungefähr einem Drittel der Nahrung täglich über den Winter. Halten sich im Winter gerne auf Gebirgskämmen auf, da bläst der Wind so schön durchs Fell. Nein, der wahre Grund ist, dass da weniger Schnee liegt und man (der Moschusochse) besser an die spärliche Vegetation herankommt. Seeehr bedächtige Tiere, laufen im ganzen Winter wohl nur wenige Meilen. Mit dem Monstrum an Fell aber auch kein Wunder. Schön fand ich die Strategie bei Annäherung von Feinden: Alle Muskokesen laufen auf einen Haufen, bilden einen Kreis mit “Kälbern und weniger geschützetem Hinterteil nach innen”. Und bieten dann dem Feind die Stirn. Richtig ausgeführt ist das für so manchen Fressfeind das letzte, was er versucht. Diese Strategie erklärt auch die äußerst seltsame Form der Hörner: auf der Stirn bilden sie erst eine Platte, bevor sie zu den Seiten schmaler werden und sich wie ein richtiges Horn kringeln. Insgesamt sehr seltsam aussehende Tiere, aber welches ist das nicht.
Ich hab vorhin noch ein nettes pdf über Muskoxen gefunden, von der UAF geschrieben. Ich gebe zu, dass ich mir fast ausschließlich die Bilder angeguckt hab, aber die sind auch ganz gut gelungen. In dem Text geht es eher um das Moschusochsenfell, also noch eine Ausrede mehr, sich das nicht durchzulesen 0:) Aber die Bilder sind wirklich sehenswert, vor allem die von süßen kleinen Moschusöchschen (das Wort nun wieder ist cooler als muskox yearling). Mein Liebslingsbild ist auf Seite 2.
Wie Fell sah auch dieses Gebilde aus:
Waren aber ‘nur’ Eiskristalle. Scheint, als wüchsen die Kristalle immer größer, je kleiner das Quecksilber im Thermometer schrumpft. Die Kristalle unten sind etwa Originalgröße (auf meinem Bildschirm, Gesamthöhe so groß wie meine Hand):
Einen riesigen Vorteil hat die Kälte: die Handschuhe weichen nicht auf, wenn das Taschentuch unbrauchbar geworden ist. Allerdings wird das wiederum (zum Teil) unbrauchbar, weil es als Eisklumpen in der Tasche liegt. ^^
Auf dem Rückweg bin ich über die Farmers Loop Road gefahren, dadurch wuchs sich die Gesamtstrecke zu knapp 30 km aus. Klingt nicht viel? Ich will den sehen, der das über hügeliges Gelände bei ungeräumten Fahrradwegen macht. Mit dem Fahrrad:
Jaja, ich hör ja schon auf zu jammern, hab’s mir ja selber ausgesucht. *Note to self: Nicht mehr als 10 km Gesamtstrecke fahren, wird sonst schmerzhaft.*
Einen kleinen Abstecher über den Scenic Lp und den Grandview Ct (ich liebe die Straßennamen hier *g*) hab ich auch noch gemacht, die Sonne ging gerade so schön unter. Konnte ja nicht ahnen, dass sie das noch für fast anderthalb Stunden machen würde.
Was sieht man auf dem Bild? Fairbanks liegt hinter der ersten, dunklen Reihe von Bäumen. Dahinter folgt 80 km Ebene, dann ein kurzer Hügel im Dunst und dahinter dann der Alaska Range. Darüber sieht man eine orange-braune Smogglocke. Denn Fairbanks ist zwar kalt, hat aber sehr wenig Wind. Und im Winter häufiger ein Smog-Problem, eben weil der Wind fehlt und sich häufig eine Inversion ausbildet: Über der kalten Bodenluft befindet sich wärmere Luft, die verhindert, dass die kalte Luft aufsteigt, was sie aber ohnehin nicht will, weil sie ja kalt ist. Macht aber nix, der findige Alaskaner lässt den Motor öfter mal laufen und schon ist die Luft noch unbrauchbarer, aber auch wärmer. Benzinpreis liegt hier bei 3,96 USD/Gallone, ist billiger, als sich das Haus abzufackeln, weil man nicht verstanden hat, dass man einen Schornstein auch mal reinigen muss. Ok, jetzt werd ich gemein. Vielleicht haben manche der deutschen Vorschriften ja doch ihre Berechtigung. Auf jeden Fall habe ich beim Stöbern dieses nette kleine Heftchen des Daily Newsminer gefunden, der ersten Zeitung Fairbanks’, gegründet 1903. Darin erhält man ein paar Tipps für Auto, Haus und Haustier, damit alle drei den Winter überstehen. Und eine seitenlange Abhandlung darüber, wann der Winter beginnt, auf Seite 2 und 5. Meine Meinung? Sobald der erste Schnee liegen bleibt, natürlich!
Um auf den Smog zurück zu kommen: Bei schlechter Luft hat man wenigstens einen schönen Sonnenuntergang, wie hier zu sehen:
Gute Nacht!
24. Oktober 2011, Murphy Dome
29. October 2011
When Fairbanksans need to get into the wilds but do not have much time, they head to Murphy Dome. At 15 miles (24 km) out of town, the dome is far enough out that you feel like you are getting away, but it is close enough that you can easily be home for dinner. It is a great place to take a leisurely stroll in the tundra, pick berries, or have a picnic.
Perfekt also, um am Nachmittag noch einen Abstecher ins Büro machen zu können. Das Auto musste ich erst am Abend abgeben.
Um zum Murphy Dome zu kommen, muss man nur die Sheep Creek Road an der Uni vorbei nehmen und dann irgendwann links auf die Murphy Dome Road abbiegen. Danach geht es dann mehr oder weniger steil bergauf. Irgendwann hört die Asphaltierung auf, aber danach war die Straße besser – nämlich mit Pulverschnee statt mit Rumpeleis bedeckt. Beim Abbiegen auf die Murphy Dome Rd hab ich für einen kurzen Augenblick gezweifelt, ob ich mit dem Ford da fahren könnte, oder ob da so ein großer Pickup nicht besser geeignet wäre. Blödsinn natürlich, es gab keinerlei Probleme. Vermutlich kommt man auf solche Ideen, wenn man zuviele große Wagen um sich herum sieht.
Die Straße führt direkt bis zum Gipfel, dort gibt es eine Station der US Air Force…
und neben dem Schild, dass man nicht hier nicht betreten soll, einen Parkplatz.
Ich hab (natürlich) nicht den vorgeschlagenen Weg genommen, sondern bin erst vom Weg runter und einer Hundespur über Stock und Stein gefolgt und bin dann mal wieder durch Gesträuch gestolpert, um zurück zum Ausgangspunkt zu kommen. Insgesamt eine eher entspannte Tour, wenigstens verglichen mit den beiden vom Wochenende.
Schon nicht mehr auf dem Weg; Blick Richtung Nordwesten. Von hier aus liegt Fairbanks ungefähr im Süden.
Nordosten und Whitemountains.
Noch mehr White Mountains.
Einer dieser Hügel da vorn ist Ester Dome, ein anderes beliebtes Ausflugsziel. Da haben die Outdoor Adventure-Leute am Freitag Abend gegrillt. Und ich hätte dabei sein können, wenn sie mich nur zwei Stunden eher angerufen hätten um mir zu sagen, dass die Warteliste zum Zuge kommt. Oh well, dafür hab ich das Auto bekommen und viel coolere Sachen erlebt als Marshmallows über dem Feuer. Polarlichter gab’s an dem Abend auch nicht, die man hätte beobachten können. Auf jeden Fall ist von hier aus gesehen hinter dem Ester Dome Fairbanks.
Diese welligen Bergflanken sind hier typisch. Es kommt auf dem Foto leider nicht so gut heraus, aber die drei Kämme rechts waren leuchtend rostrot.
Murphy Dome selbst ist etwa 892 m hoch. Auf meiner Querfeldein-Wanderung habe ich geschätzt 100 Höhenmeter zurückgelegt und war tatsächlich am Nachmittag im Büro. Leider war Tapas nicht da, und auch per Handy nicht zu erreichen. Also musste ich wohl oder übel vom Autovermieter zurück nach Hause laufen. Es gab zwar ein paar Sachen zu sehen, aber nach dem Wochenende waren die anderthalb Stunden nur noch schwer zu verkraften. …und deshalb war ich am Abend so fix und fertig, dass ich eigentlich überhaupt keine Kraft mehr für Polarlichtausschau hatte. Jedenfalls, bis ich welche gesehen hab
Ausflugsdampfer, eine der Touristenattraktionen Fairbanks’. Summer only.
23. Oktober 2011, unbenannter Berg, Denali National Park and Reserve
29. October 2011
Auf der Fahrt zum Kesugi Ridge, von dem man einen super Ausblick auf den Denali aka Mt McKinley haben soll, hab ich zu lange getrödelt und mich kurzfristig entschlossen, eine Fahrtstunde vorher anzuhalten und mich in das Unterholz des Denali Nationalparks zu schlagen. Bei meiner Entscheidung hat mich das Wetter unterstützt: Je weiter ich von Norden her in die Alaskakette gefahren bin, um so dichter und dunkler wurden die Wolken über und vor allem vor mir. Als ich dann auch noch Schneeflocken vor mir gesehen hab, dachte ich mir, dass das mit der Aussicht noch weiter südlich wohl eher nichts wird.
Die andere Tour, die ursprünglich noch in Frage gekommen war, war eine Stunde Fahrt früher und erschien mir völlig unzulänglich, nachdem ich schon mitten zwischen Geschätztanderthalbtausendern stand. Wie hoch die Berge an der Stelle tatsächlich sind – keine Ahnung. Meiner muss etwas über Eintausend gewesen sein. Ich kann zwar “meinen” Berg auf der Karte finden, aber ich habe bisher keine Karte gefunden, die Bergnamen oder Höhen für die Region zeigen würde. Wer selbst mal nachschauen möchte, auf den hier bin ich gestiegen: (63.623, -148.832). Der Aufstieg war steil, steiler als auf den Donnelly Dome. Etwa ein Drittel der Strecke hochwärts bin ich mehr geklettert als gelaufen – wie wenig diese trockenen Zweige aber auch zum Festhalten taugen! Abwärts bin ich einen ziemlich großen Umweg gegangen, aber dafür war der Hang deutlich flacher. Etwa anderthalb Stunden nach Sonnenuntergang war ich wieder am Auto – und es war immer noch hell genug, um die Karte zu lesen. Für’s Verlaufen hätte ich notfalls eine Taschenlampe dabei gehabt.
Auf dem Weg von Fairbanks Richtung Anchorage über den George Parks Hwy (als gäbe es einen anderen Weg) kommt man in dem kleinen Örtchen bzw. für Alaskaner in der Stadt Nenana vorbei. Die liegt direkt am Fluss Nenana, dort, wo der Nenana in den Tanana mündet. Für aufmerksame, aber vergessliche Leser: Nenana ist die Heimat der Nenana Ice Classics, dem jährlichen bundesstaatenweiten Ratespiel, wann das Flusseis aufbrechen wird. Und dieses Aufbrechen wird mit einem Gestell überprüft, das bei der Schmelze im Wasser verschwindet. – So, und jetzt zum Bild: Das Gestell ist schwarz weiß gestreift und links neben der Touri-Info-Hütte zu sehen.
Neben den Ice Classics gibt es noch ein Eisenbahnmuseum in Nenana. Am Stadtrand ist eine Siedlung von Athabascans. Ansonsten ist Nenana ein ziemlich verschlafenes Kaff. Und die Hauptstraße (heißt doch tatsächlich A Street) eignet sich hervorragend zum Eislaufen
Mein erster freilebender Elch. Stand einfach am Straßenrand und zupfte von den Autos völlig unbeeindruckt am Gras rum. Erst als ich das Auto auf den Seitenstreifen gelenkt hab und ausgestiegen bin, hat er sich argwöhnisch lieber ein paar Meter entfernt.
Der Nenana weiter stromaufwärts. Glaub ich… näher an der Quelle halt.
Je weiter man nach Süden kam, um so besser wurde die Aussicht. Umso schlechter auch die Straßen, aber alles in allem war der Parks Hwy deutlich besser (d.h. eisfreier) als der Richardson vom Samstag.
Teilweise musste ich mich regelrecht zwingen, wieder auf die Straße zu schauen. Ist aber auch zu verlockend, bei der breiten Spur und dem geringen Gegenverkehr…
Hier bin ich dann umgekehrt. Wenn ich mich schon einen Berg hochquäle, will ich schließlich auch was sehen.
Und wie sich später herausstellen sollte, war meine Entscheidung genau richtig: Ich war letztendlich weit genug im Gebirge, um “echte” Berge zu sehen, aber auch weit genug am Rand, um genau an der Grenze zu diesen furchteinflößenden grauen Wolken zu wandern und blauen Himmel über mir zu haben.
Sieht irgendwie harmlos aus, mein Berg. Mit dem Gestrüpp direkt am Hang hatte ich ja schon am Vortag Kontakt gehabt, da hatte ich also schon Erfahrung. Neu war der weiche Waldboden. Stellenweise knietiefes Moos mit Schnee bedeckt – das lief sich wie auf Kissen. War schön auf dem Rückweg, als die Füße anfingen weh zu tun, aber auch ziemlich anstrengend. Nach dem Moos kamen Büschelsträucher. Keine Ahnung, wie die richtig heißen, aber wenn man nicht auf den Stamm eines dieser Büschel getreten ist, konnte man plötzlich einen halben Meter tiefer stehen als erwartet. Das hab ich zweimal gemacht und dann genau aufgepasst, wohin ich trete – nämlich genau auf die Mitte dieser Büschel.
Immer wieder schön, wenn man nach dem schwer durchdringlichen Dickicht mal wieder etwas freien Blick hat…
Oops. Der Kollege hier hat mich tierisch erschreckt, als er plötzlich an mir vorbeigeflitzt ist. Ich weiß nicht, warum er stehen geblieben ist, er war doch schon an mir vorbei. Theorie 1: schockgefroren. Theorie 2: zu kameraaffin.
Der hier war das genaue Gegenteil des Weißpelzers: Der hat sich nicht still verhalten, sondern einen Wahnsinnsradau gemacht und ist aufgeregt den Baum hoch und wieder runtergeflitzt. War sehr schwierig, den einigermaßen scharf aufs Bild zu bannen.
Die anderen Gipfel sahen immer so aus, als würde da kräftig der Wind wehen. Aber ich hab an diesem Tag offensichtlich den Lee-Hang ausgewählt. Erst oben auf dem Gipfel hab ich zu spüren bekommen, wie stürmisch die Gegend sein kann.
Der Gipfel! Nach anstrengenden zweieinhalb Stunden und etlichen Kratzern. Ich glaub demnächst such ich mir doch wieder Berge mit Pfaden hoch.
… und hinter dem Gipfel!
Das unten dürfte der Nenana sein, der da in der Gegend überall herummäandriert. Mit den Bergen geht’s mir wie mit dem, auf dem ich gerade stehe: Ich hab keine Ahnung, wie sie heißen. Ist mir aber ehrlich gesagt auch egal.
Nicht mehr ganz die Spitze, aber von hier hat man definitiv die bessere Aussicht. Aber hier zieht’s auch wie Hechtsuppe. Ach was, Hechtsuppe. Der Wind faucht, nein brüllt, als hätte er was dagegen, das jemand auf den Bergen rumläuft. Hier hab ich nur drei Fotos mit Selbstauslöser gemacht, weil das Rumstehen im Wind eisig war und die Kamera sehr schwer sicher hinzustellen war. Vor allem hatte ich nur dünne Handschuhe an, und nach den drei Versuchen konnte ich meine Finger kaum noch bewegen. Meine alte Skihose hatte sich während der Wanderung als nicht mehr wasserdicht herausgestellt und war außen bis zur Hälfte des Oberschenkels feucht. Sie hat trotzdem noch warm gehalten; aber da oben in dem Wind ist sie steif gefroren. Anders als auf dem Donnelly Dome standen auf dem Gipfel aber noch Bäume herum, die waren hervorragend zum Aufwärmen geeignet. Und den Abstieg hab ich dann auch auf der Lee-Seite gemacht.
SummitPost.org hat zum Thema Wetter auf dem McKinley die gleich folgend Beschreibung zu bieten. Ich will nicht ernsthaft Mount McKinley mit Donnelly Dome oder meinem Sonntagsberg vergleichen. Aber der gesamte Alaska Range ist nicht gerade für sein sanftmütiges Wetter hier bekannt, und was für den McKinley zutrifft, gilt auch für den Rest des Nationalparks und der Gebirgskette – in abgeschwächter Form.
If this comes as any kind of major surprise to you, any serious ideas of planning a climbing trip to Alaska should perhaps be reconsidered. During the first winter ascent of Denali in February of 1967, 3 climbers were pinned down at 18,200 ft on McKinley Pass, where the temperature including wind chill worked out to a testicle-numbing -148°F (-100°C). “It’s colder than all the peaks I have attempted in the Himalaya,” proclaimed Austrian climbing legend Peter Habeler once after climbing on Denali. It should be noted that cold makes climbers more susceptable to both high-altitude cerebral edema (HACE) and high-altitude pulmonary edema (HAPE) as well.
Typische Wintertemperaturen liegen eher bei -40°C, also das, was meist auch in Fairbanks herrscht. Auf einer anderen Subpage findet man diese Passage:
[...] However, these winds routinely exceed 100 mph and have been known to pick climbers up and throw them down the slopes. Windstorms often come with little if any warning and are thus amongst the most feared weather patterns on the mountain. [...]
Denali wird anscheinend regelmäßig zum Grab für Bergsteiger; für den Berg selbst muss man sich anmelden, wenn man ihn besteigen will: http://www.nps.gov/dena/planyourvisit/registrationinfo.htm. Zwei Monate im Voraus, mit einigen hundert Dollar Anmeldegebühr. Und vermutlich zurecht; wer ein wenig Spannung mag, kann ja mal die Geschichte des wohl höchsten Helikopterrettungseinsatzes (mindestens Nordamerikas ) nachlesen. Frisch vom diesjährigen Mai.
So, jetzt aber zurück zu meiner Wanderung, ganz gemütlich diesseits der 6000 m-Grenze…
… wo mir selbst sowas schon zu steil ist… Nein, ernsthaft: Die Berge im Hintergrund waren die meiste Zeit wolkenverhangen, nur für das Foto für etwa eine Viertelstunde sichtbar.
Mal wieder durch Gestrüpp, aber diesmal mit besserem Ausblick. Nach vorn…
… und nach unten. Heidelbeeren! Mjam.
Noch so ein Berg, der sich die meiste Zeit bedeckt hielt. Dabei ist der nun wirklich cool anzusehen! Die Schneegrenze (genau wie die Baumgrenze) scheint hier nicht von der Höhe abzuhängen, sondern vom Berg, warum auch immer. Auf den anderen war sie nämlich deutlich höher.
Kurz vor dem Fuß des Berges noch mal ein Blick zurück. Jetzt noch drei Meilen über die Mooskissen und durch Wald, dann bin ich am Auto. Die Fahrt selbst war angenehmer als am Abend davor: Vom Nordrand des Alaska Range bis nach Nenana hab ich mich an einen Einheimischen dran gehangen, der für meinen Geschmack für die Straßen sehr zügig unterwegs war. Aber ein Vordermann bei meinem Funzelfernlicht war viel besser als nicht durchgeschüttelt zu werden. Und in der Nacht habe ich kein Tier das Leben gekostet.
22. Oktober 2011, Donnelly Dome
26. October 2011
Eigentlich wollte ich ja dieses Wochenende über den Yukon und zum Polarkreis fahren. Das Problem war nur, dass Richtung Norden die Straßen immer schlechter werden und durch den Schneefall am Anfang der Woche nicht gerade sicherer. Also sagte der Touranbieter ab und ich überlegte mir einen Plan B. Und der bestand in Auto mieten und dann weiter sehen. Vor allem in Richtung Süden sehen, da wo mich der Alaska Range schon seit Wochen so einladend anlächelte. Richtige Berge sehen, nicht so dieses rundgelutschte Hügelland von Interior Alaska. Berge in Thüringer-Wald-Höhe hab ich auch in Ilmenau. Da unten im Süden, hinter der großen Ebene und den ganzen Tag unter der Sonne, so breit zieht sie sich hin, – da ist die größte Bergkette Nordamerikas. Mit Bergen höher als die Alpen. Steilen Berghängen. Einem Meer an Gletschern. Klar, dass ich da hin muss.
Am ersten Tag, einem Samstag sollte es nach Südosten gehen, in Richtung der großen “Delta Junction”, möglicherweise bis zum Castner Glacier. “Große” Delta Junction, weil dieses Highway-Dreieck über hundert Meilen entfernt in Fairbanks ausgeschildert stand und sich dann als eine etwas größere Straßenkreuzung entpuppt hat, ungefähr so wie der Kreisel am Lidl, zwischen McDonald’s und Faradaybau in Ilmenau. Für die Nicht-Ilmenauer: Klein. Auf jeden Fall habe ich mich eine Stunde vor Sonnenaufgang aus dem Bett gequält, also gegen 8. Hab mir Proviant geschmiert und bin in die Kälte aufgebrochen, minus 10°C waren draußen. Zuerst musste ich allerdings einen Zwischenstopp beim Autovermieter machen: Die Beifahrertür ließ sich nicht mehr schließen. Etwas unangenehm in Linkskurven, aber das Problem ließ sich mit einem typisch alaskanischen Zubehör provisorisch lösen: Als ich das Auto übernahm, fanden sich auf dem Beifahrersitz ein sprichwörtlich ellenlanger Eiskratzer mit Borsten am anderen Ende und – ein Verlängerungskabel. Schalten brauchte ich ja nicht, also hab ich das Kabel durch den Türgriff gezogen und mit der rechten Hand festgehalten. Bis zum Vermieter ging das. Der hat dann Enteiser ins Schloss gesprüht und daraufhin ging die Tür wieder zu. Ob’s länger angehalten hat, weiß ich nicht, ich hab sicherheitshalber die Beifahrertür nicht mehr aufgemacht. Denn der Castner-Gletscher ist von Fairbanks ungefähr 150 Meilen, also etwas über 220 km, entfernt. Keine Strecke, die ich komplett einhändig fahren möchte.
Für alaskaniensische Verhältnisse klein, aber fein: Ford Focus 4-Türer mit obligatorischem Stecker aus der Schnauze hängend. Ab -10°F soll man den übrigens einstecken, etwas unter -20°C.
Es war übrigens mein erstes Mal mit einem Automatikgetriebe. Dementsprechend ist bei jedem Anlassen mein linker Fuß erstmal ins Leere getreten und insbesondere vor Kreuzungen meine rechte Hand öfter mal nach unten gezuckt. Alles eine Gewöhnungssache. Zum entspannt in der Stadt durch die Gegend gondeln ganz nett, aber gerade beim Anfahren auf Schnee oder bei Steigungen hätte ich lieber etwas mehr Kontrolle über das Auto. Motorbremse beim Bergabfahren kennt er auch nicht – aber zum Glück kühlt ja die Umgebungsluft, wenn man meilenweit steil bergab fährt. Und vielleicht ist das ja ein Ford-Problem, aber manchmal fühlte sich das Schalten genauso an, als wäre man gerade auf eine Eisfläche gefahren. Nicht so unwahrscheinlich, ich schätze auf 80% der Gesamtstrecke war die Fahrbahn bis auf die Spurrillen mehr oder weniger deckend vereist. Und stellenweise waren auch die Spurrillen zu.
Die Fahrt Richtung Alaska Range selbst war ziemlich spektakulär. Lange Strecken am Tanana River entlang: http://www.alaska101.com/exploreAlaska/maps/yukonTananaNenanaRivers.jpg
und mit häufigem Blick auf die Berge im Süden.
So richtig schnell bin ich also nicht vorwärts gekommen, und das obwohl ich die vorgeschriebenen 65 mph etwas großzügig ausgelegt hab. “I have never heard of anyone being caught speeding on the highway with 10 above the limit.” Viel schneller als 75 mph macht dann auch keinen Spaß mehr, ab 80 rumpeln die Reifen nicht nur über die unebene Eisdecke, sondern noch über die vielfach geflickte Straßendecke. Engere Kurven werden angekündigt, aber irgendwann wird das Durchschütteln doch zu unangenehm.
Und dann war da noch mein Zwischenstop in North Pole. Klar, wenn ich schonmal durchfahre, dann muss ich auch mal anhalten. Zumal das Santa Claus House einfach zu finden ist: Es liegt direkt am Highway.
Begrüßt wird man von diesem 14 m hohen Kollegen:
Dessen Haus im St Nicolas Drive steht direkt daneben:
Und drinnen sieht es so aus:
Ansonsten ist North Pole ein ziemlich verschlafenes Städtchen, bis auf größere Verpflegungsketten für Auto und Fahrer gibt es nur angeschneite Häuschen.
Dafür sind die Straßennamen umso interessanter: Ich bin durch die Snowman Lane durchgefahren, durch die Santa Claus Lane, den Holiday Drive… Die Straßenlaternen sehen aus wie Candy Canes. Und das reichte mir dann auch schon an Christmas Spirit, der Rummel fängt schon noch früh genug an.
Zum Castner Glacier hab ich es dann nicht mehr geschafft, bis zum Sonnenuntergang um 6 wollte ich wieder zurück beim Auto sein, und möglichst nicht auf dem Hosenboden den Gletscher runter rutschen um das zu schaffen. Plan B war der Donnelly Dome, und den hab ich dann auch in Angriff genommen. Für Leute, die auf der Karte nachschauen wollen: die Koordinaten (63.78, -145.79) in die Suche bei Google Maps eingeben.
Rechts neben der Straße im oberen Bild, genau in der Mitte im unteren. Diese Erhebung steht frei in der Landschaft herum, ist etwas über 1000 m hoch und sehr geröllig. Im Vergleich zu den einige Meilen entfernten Nachbarn ziemlich glatt gelutscht. “Glatt gelutscht” trifft es sogar ganz gut, der Donnelly Dome ist ein Überbleibsel der letzten Eiszeiten, als die Gletscher vom Alaska Range herabgekrochen sind und die anderen Berge abgeschürft haben bis nur noch flache Ebene übrig war. Der Donnelly Dome stand vermutlich zwischen zwei Gletscherströmen und hat deshalb überlebt. Auf dem Gipfel sieht man typische Gletschermerkmale, insbesondere einzelne Steine, die nicht zum restlichen Gestein des Berges passen. Angeblich ist der Fachbegriff für diesen vom Eis überrannten Berg “Fleigberg”, allerdings hab ich das Wort noch nie vorher gehört und selbst Google kennt ihn nicht sehr gut.
Aber genug davon. Wichtig ist: Hoch, steil, und schlechter Tritt.
Ich habe sehr schnell meine Lagen bis auf die innerste abgelegt und bin praktisch im T-Shirt… naja, halb gelaufen und halb geklettert. Nach etwa einem Drittel des Aufstiegs hab ich jedoch alle Lagen wieder angezogen: Wind kam auf. Wobei “aufkommen” ein Euphemismus ist, aus dem Nichts war er plötzlich da und blies erbarmungslos.
Da half auch der steile Anstieg nicht mehr, immer wieder musste ich hinter einem größeren Felsbrocken Zuflucht suchen und eine weitere Lage anziehen. Wobei auch die Zuflucht nur relativ war, dort war der Wind meist nur wenig schächer. Dafür aber zur Abwechslung endlich mal aus einer anderen Richtung: von unten.
Wenigstens hatte ich Spaß, auch wenn Kamera-Akkus-Wechseln mit dicken Winterhandschuhen sehr schwierig ist.
Kurz vor dem Gipfel wurde der Anstieg etwas flacher und ganz oben kam die spektakuläre 360°-Aussicht. Lange geblieben bin ich nicht, ohne Bewegung wurde es doch etwas kühl.
Die Berge im Osten…
…die große Ebene mit dem Delta River im Nordwesten…
… die Berge im Süden…
… und im Südwesten. Die Linie am unteren Bildrand ist die große Trans-Alaska-Pipeline. Diesmal wirklich groß, sie verläuft fast 1300 km vom Norden Alaskas (Prudhoe Bay) bis nach Süden (Valdez).
Abgestiegen bin ich über die Südflanke, ich wollte nicht wieder den gleichen Hang zurück. Ich habe allerdings nicht bedacht, dass an der Südflanke mehr Sträucher und vor allem höhere Sträucher stehen. Wanderwege gibt es dort ja nicht, wenn man von ein paar Trampelpfaden absieht, die offenbar regelmäßig von allerlei Getier genutzt werden.
Am Anfang waren sie noch vergleichsweise flach, die Stämme waren fast horizontal und sehr dick. Da konnte man noch drüber laufen. Weiter unten wurden die Sträucher höher, höher als ich, dichter und unflexibler. Unzählige Äste habe ich abgebrochen in dem Versuch, sie einfach nur zur Seite zu biegen.
Dann endlich kamen Nadelbäume. Dort standen dann weniger Sträucher, dafür wurden meine Umwege größer, weil zwischen zwei dicht stehenden Bäumen überhaupt keine Durchkommen mehr war. *ächz* Für den Abstieg habe ich so länger gebraucht als für den Aufstieg, etwas mehr als 2 Stunden. Unterwegs hab ich noch meine Handschuhe verloren und wiedergefunden (der Wind hat nach etwa einer Stunde wieder aufgehört und dann war mir wieder zu warm) und ich bin mehrfach über einen zugefrorenen Bach geklettert.
Das spektakulärste Erlebnis hatte ich während des Abstiegs knapp oberhalb der Baum äh Strauchgrenze: eine Nebensonne! Bevor ich lange erkläre, was das ist, hier ein Bild:
Und für die, die es nicht sehen, hier ein Zoom:
Es hat zwar die Farben eines Regenbogens, aber dieser Leuchtfleck ist eindeutig eine Nebensonne. Meine erste! Allerdings nur eine, die auf der rechten Seite konnte man nicht sehen. Nebensonnen entstehen durch Brechung des Sonnenlichts an dicken Eisplättchen, die sich bei ruhigem Wetter horizontal ausrichten.
Wenn man noch etwas genauer hinschaut – auf dem folgenden Bild und auf dem oberen Donnelly-Dome-Bild sieht man es etwas besser – kann man den kleinen Halo oder Haloring um die Sonne erkennen. Auf dem folgenden Bild reicht der Durchmesser des Halo von der linken Nebensonne bis fast an den rechten Bildrand. Zugegen, ein schwacher Halo, er ist mir erst hinterher auf dem Bild aufgefallen. Ich war halt zu beschäftigt mit dem sun dog, der Nebensonne 0:).
Und noch eine weitere Lichterscheinung sieht man auf dem (jetzt oberen) Bild: eine – wenn auch kurze- Lichtsäule. Das ist dieser senkrechte Auswuchs an der Oberseite der Sonnenscheibe. Offensichtlich war an dem Tag sehr viel Eis in der Atmosphäre, denn die Lichtsäule entsteht, wenn Eisnadeln ober- und unterhalb (hier von den Bergen verdeckt) der Sonne das Licht reflektieren. Wie beim Rollo, wo die einzelnen Lamellen reflektieren und sich so direkt am Fenster eine Lichtsäule ausbildet. Bei Wikipedia findet man ein recht gutes Bild einer stark ausgeprägten atmosphärischen Lichtsäule. Und hier findet man ein Bild, auf dem die genannten Effekte (und noch einige weitere) deutlicher zu sehen sind: http://www.top-wetter.de/fgalerien/autoren/meteoros/htm/bild11.htm. (Zur Erläuterung: 22°-Ring = kleiner Halo; Horizontalkreis = der fast waagerechte Streifen, der durch Sonne und Nebensonnen verläuft, verläuft parallel zum Horizont.)
Die genannten Lichtphänomene sind übrigens nicht auf die hohen Breiten beschränkt, man kann sie prinzipiell auch in Deutschland beobachten. Man braucht nur ein wenig diesiges Wetter. Und auch wenn sie nicht auf die Abendstunden beschränkt sind, ist der Abend besonders gut geeignet – zum einen, weil dann die Sonne schwächer wirkt, und zum anderen, weil die Sonne dann eher auf unserer Augenhöhe ist. Hier dauert die Dämmerung deutlich länger als in Deutschland, daher hat man hier mehr Zeit, die Sonne und ihre Himmelsumgebung zu beobachten.
So, jetzt reicht’s mit der Klugscheißerei, hier noch ein Bild, auf dem einfach nur ein hübscher Sonnenuntergang im Südwesten zu sehen ist…
… der Alaska-Range-Ausläufer im Osten, die glattgespülten und -geschliffenen sanften Wellen des Gebirgsvorlandes im Vordergrund, nein Mittelgrund, hinter den Bäumen…
… Blick Richtung Norden, rechts am Donnelly Dome vorbei. Rechts sind die Ausläufer von eben zu sehen; der helle Streifen ganz hinten am Horizont sind die schneebedeckten Gipfel der White Mountains, etwa 100 km entfernt.
Und zum Schluss, die schon früher erwähnte, weithin sichtbare, orangene Fairbanks-Wolke.
Den Fuß des Donnelly Dome hab ich gegen 7 erreicht – die Sonne war schon längst untergegangen, aber die Dämmerung war noch lange hell genug um bequem laufen zu können, und der letzte Lichtstreifen ist erst gegen halb 9 verschwunden – anschließend habe ich mich noch an einen kleinen See gesetzt und die Sterne beim Herauskommen beobachtet. Als mir langsam kalt wurde und auch noch die Koyoten anfingen zu heulen (meinetwegen auch Wölfe, so genau wollte das nun wirklich nicht wissen), habe ich mich gegen 8 auf den Rückweg gemacht. Die Fahrt war langweilig aber anstrengend: Auf der Hinfahrt gab es auf der Strecke ständig Neues, Interessantes zu sehen, aber auf der Rückfahrt gab es außer schwarz nicht viel. Das Fernlicht des Fords war etwas schwach, und Städte oder überhaupt Ortschaften entlang der Strecke gab es in vernachlässigbarer Anzahl. Sehr langweilig. Ab und zu kam noch ein einzelnes, erleuchtetes Haus vorbei. Und kurz hinter der Brücke über den Tanana kam noch ein kleines, pelziges Etwas über die Straße gelaufen. Ungefähr dackelgroß und rundlich mit Schwanz, ich habe es nicht lange genug sehen können um es zu identifizieren. Die Zeit hat gerade ausgereicht, um mich für ein “Frontal und möglichst zwischen die Räder” zu entscheiden, die Straße war ja außerhalb der Spurrillen vereist. An der Stelle zwar nicht, wie sich heraus stellte, als ich nochmal zurück fuhr. Aber lieber leichten Schaden am Unterboden als großen Schaden am Baum und in und hinter der Fahrertür. Wie auch immer ich den Pelzer erwischt habe, ich bin mit einem leichten Schock davongekommen, während der Aufprall für den Pelzer weder gesund klang noch sich anfühlte. Aber alles, was auf der Straße hinterher zu sehen war, war ein kleines Fellbüschel, das der Wind über die Straße blies…